Kolumne 14

10.10.2006

Martin Reichert über LANDMÄNNER

Tag des offenen Denkmals

Bei uns in der Ackerbürgerstadt blühen die Landschaften derart, dass den Nazis noch Hören und Sehen vergehen wird

Die Einschläge kommen näher: Gleich um die Ecke, mitten in der Altstadt unserer kleinen brandenburgischen Ackerbürgerstadt treffen sich neuerdings Jugendliche mit verdächtigen Haarschnitten, die zum einen rülpsend-feist an Straßenlaternen urinieren und zum anderen rechtsradikalen Rock hören – unsere insgeheime, selbstberuhigende Ausrede, dass die Nazis ganz woanders hausen, vornehmlich in den ehemals industrialisierten Bereichen Brandenburgs, scheint sich so nicht mehr haltbar zu sein: Und plötzlich sind sie überall, man muss sie nur wahrnehmen wollen.

Beim Schnitzelessen in der lokalen „Speisegaststätte“, geführt von zwei reizenden Schwestern, die uns immer persönlich und herzlich begrüßen, hängt ein NPD-Funktionär in gestyltem Landarbeiter-Outfit herum und politisiert. Gegenüber unserem Haus ist ein gewichtiger Glatzkopf eingezogen, aus dessen 1.000-Watt-Autoradioboxen gerne mal Störkraft-Klassiker dröhnen. Er grüßt nie. Wir auch nicht. Stattdessen höre ich stets mit heruntergekurbelten Fenstern Scissor Sisters (wahlweise auch Abba). Eine Form subversiven Widerstands, der sich auch bei Spazierfahrten ins Umland anböte. Auch wenn in diesem Dorf die Nazi-Gaststätte „Walhalla“ längst Pleite gemacht hat, so weht in jenem doch die Deutschland-Flagge über dem Einfamilienhaus ortsbekannter Nazis – womöglich als Antwort auf die US-Beflaggung der benachbarten Country-Ranch, zu der seit neuestem ganz in Weiß gekleidete Cowboys pilgern. Und zwar auf dem Fahrrad – eine „Überfremdung“ der etwas schrägeren Art, denn „Ausländer“ gibt es ja in dieser Gegend kaum, vielleicht abgesehen von den wenigen „Fidschis“, bei denen man gerne mal billig Klamotten kaufen geht.

Beim nächsten Dorf handelt es sich um eine ehemalige Manifestation der Nazi-Siedlungsbewegung, von der zum einen die sich noch im Originalzustand befindenden, holzverkleideten Flachbauten zeugen, zum anderen die noch immer deutlich über dem Durchschnitt liegende Schäferhund-Dichte. Gleich nebenan: eine vergessene Außenstelle des Konzentrationslagers Sachsenhausen, in der Häftlinge bis zur tödlichen Erschöpfung Torf stechen mussten.

Ob die Scissor Sisters mit ihrem New Yorker Queer-Sound gegen all das ankommen? Subversiver, ja, aber auch ziemlich sprachloser Widerstand. Mein Freund will den urinierenden Gröl-Jugendlichen demnächst das LKA auf den Hals hetzen. Er ist einfach nur sauer – auch weil man in seiner Heimat weiß gekleidete Cowboys ebenso hinnimmt wie Springerstiefel tragende Neonazis. Als handele es sich um eine Art karnevaleskes Naturereignis. Was kann man dem eigentlich entgegensetzen außer Lichterketten? Weitermachen. Aushalten.

Neulich zum Beispiel sind wir wieder einmal besichtigt worden, weil „Tag des offenen Denkmals“ war. Insgesamt drei lokal bestückte Gruppen drängten sich durch unser denkmalgeschütztes Eigenheim-Ensemble (von manchem auch als Bruchbuden-Haufen bezeichnet), es handelt sich um die ältesten Häuser der Ackerbürgerstadt. Ein Stück satter teutonischer Fachwerkidylle, bewohnt und in Stand gehalten ausgerechnet von einem Homo-Paar. Besichtigt wurde daher auch ein Stück Lifestyle, inklusive der utopischen Idee, aus dem ganzen Areal ein generationenübergreifendes Wohnprojekt zu machen. Eine Siedlungsbewegung, die in dieser Form ganz sicherlich nicht im Sinne des braunen Erfinders ist, aber wer zuletzt lacht, lacht eben am besten. Dem Großteil der Besucher hat es sehr gut bei uns gefallen: Entdecke die Möglichkeiten! Wohlwollen schlug uns entgegen, und dies nicht nur für die Auswahl der Lampen, auch die schulterklopfende Aufforderung, weiterzumachen.

Wir werden ja sehen, welche Konzepte, welcher Lebensstil, welche Ideen sich am Ende in unserer Ackerbürgerstadt durchsetzen werden. Bloß nicht Bange machen lassen. Die von uns geschaffenen Landschaften blühen jedenfalls schon jetzt ganz ordentlich. Und außerdem sehen wir einfach besser aus.

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