Kolumne 16

23.11.2006

Martin Reichert über LANDMÄNNER

Streusand im Auge

Im Fernsehen ist Brandenburg immer prima kuschelig. Aber waren Sie schon mal im Oranienburger Einkaufszentrum?

So wie es ZDF-Punks und Degeto-Frauen gibt, existiert auch ein schönes, kleines Bundesländchen namens RBB-Brandenburg. Dort scheint meistens die Sonne, und scheint sie einmal nicht, machen dies die patent-bodenständig wirkenden ModeratorInnen mit einem strahlenden, penetrant glaubwürdigen Lächeln wieder weg: nicht zu hübsch und nicht zu hässlich. Es brüten die Störche, es krähen die Kraniche – und das Volk feiert allzeit Feste mit irdenen Speisen und selbstgebrauten Alkoholika. RBB-Journalisten mit Timberland-Boots und Goretex-Jacken fahren rund um die Uhr mit ihren silberglänzenden Opel Vectras und VW-Bussen über die Alleen, um diese Bilder einzufangen.

Nur im Oranienburger Einkaufszentrum war noch nie jemand. Einem Aufenthalt in der Kreisstadt verdanke ich die erschütternde Erfahrung, die Welt für einige wenige Minuten wie Wiglaf Droste betrachten zu müssen: Überall waren hässliche Menschen, die Einkaufswagen mit hässlich ausschauenden, ungesunden Lebensmitteln vor sich her schoben. Ein Geruch von ranzigem Bratenfett lag in der Luft, feiste, schnurrbärtige Männer schoben verschmorte Würste in ihre roten Gesichter, dazu schales Regionalbier trinkend. Vereinzelte Gestalten mit Dauerwellen schreiten in den „Orion“-Sexshop, um „Glitschi“ zu kaufen, als handele es sich um Zahnpasta. Fruchtbarkeit inmitten dieser Einöde? Da soll sich mal lieber der Storch drum kümmern.

Und beim Abendessen kommt mir mein Freund dann auch noch mit folgendem Satz: „Die Tragik der Ostdeutschen besteht doch darin, dass ihre Biografien nicht anerkannt werden.“ Eigentlich hatte ich überhaupt keine Lust, meinen Abend ausgerechnet mit Wolfgang Thierse zu verbringen, aber bitte: Die Ost-West-Diskussion haben wir beide schon so oft geführt. Also das ganze Programm. „Ihr“ und „wir“ und „das hat ja alles auch ganz schön viel Geld gekostet“ und „es war ja nicht alles schlecht in der DDR“. Das Gulasch lag ganz schön schwer im Magen, dementsprechend träge waren die Gedanken. Ein halbherziges Ritual.

Dabei sind wir uns eigentlich einig, da hilft auch keine zehnte Wiederauflage des Kalten Krieges: In unserem Frust. Er kann einfach nicht glauben, wie viele seiner Exmitstaatsbürger einfach so tun, als gäbe es die DDR noch. Sie spielen einfach weiter Arbeiter-und-Bauernstaat, als hätte es die Wende nie gegeben: Privat geht vor Katastrophe. Ossi-Parallelgesellschaften in Berlin-Hohenschönhausen – darum könnte sich „Spiegel-Online“ mal kümmern, anstatt sich aufgrund von Ortsunkundigkeit im Kreuzberger Wrangel-Kiez zu verlaufen.

Aber für den tristen Alltag im Osten interessiert sich eben nicht mal der RBB. Kann man auch schlecht verkaufen. Auch ich selbst stelle mitunter gewisse Ermüdungserscheinungen an mir fest. Plötzlich ist die geballte, graue Tristesse nicht mehr „exotisch“, sondern beängstigend, die eigenbrödlerisch-privatistische Mentalität nicht mehr „spannend“, sondern schlicht piefig-miefig.

Nach all den Jahren „sensibler Annäherung“, der Neugierde und Anteilnahme, dem Bemühen um Verständnis und Verstehen, meldet sich auch gelegentlich ein Gefühl von Enttäuschung. Das Gefühl, immer ein Fremder im Osten geblieben zu sein und auch bleiben zu sollen. Und irgendwie überhaupt keine Lust darauf zu haben, dass in der Stammwirtschaft die örtlichen Nazis genauso freundlich bedient werden wie alle anderen.

Aber es gibt ja noch das RBB-Brandenburg, und das ist für alle da, auch für mich. Pilze sammeln im Spätsommer, Baden im See, den Kranichen auf ihrem Weg nach Süden auf Wiedersehen sagen. Kirschen aus LPG-Beständen klauen und Schnitzel mit Spargel essen. Vielleicht sollte ich mir einfach einen RBB-Aufkleber auf mein Auto machen, silberfarben ist es ja schon. Immer dranbleiben an den schönen, bunten Geschichten aus der Mark Brandenburg.

Es ist nun einmal die Heimat meines Freundes. Und deine Liebe ist meine Liebe. Es wird schon gehen.

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