12.4.2007
MARTIN REICHERT über LANDMÄNNER
Rosa von Praunheims Baseballkappe
In meiner Heimat ist Wein, Mann und Gesang ausdrücklich nicht vorgesehen. Wie ich Ostern trotzdem überlebte
An Ostern habe ich in diesem Jahr „Ja“ zur Regression gesagt und meine Familie besucht. Dort, wo ich herkomme, ist man jenseits des Limes. Es herrscht katholische Sinnenfreude, immer läuten irgendwo Glocken und der Rest ist: Wein, Weib und Gesang. Wein, Mann und Gesang sind ausdrücklich nicht vorgesehen. Meinen Freund habe ich also mal lieber zu Hause in Brandenburg gelassen, ist besser so, der angeheirateten Verwandtschaft wegen.
Man kann nicht immer als Gay Taliban unterwegs sein, manchmal wird der innere Rosa von Praunheim schlicht müde und sehnt sich nach Frieden und Harmonie. So war es dann auch. Vorerst schien eitel die Sonne, ich schob meinen kleinen Neffen im Kinderwagen durch die vom Eise befreite Natur. So bekam ich eine Ahnung von den Wonnen der Mehrheitsgesellschaft, von dem Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen: Die anerkennenden Blicke der Spaziergänger angesichts des stolzen „Vaters“, der seinen Wonneproppen spazieren fährt. Für eine halbe Stunde ist man ein Bestandteil der heterosexuellen Zwangsmatrix, in der sich alles um geleaste Kombis, pflegeleichte Laminat-Fußböden und Bausparverträge dreht – und der innere Udo Di Fabio tanzt Walzer mit Ursula von der Leyen.
„Na, immer noch keine Freundin?“, fragt mit lauerndem Blick die katholische Anverwandtschaft, wohl wissend, dass sie die Antwort auf die Frage nicht hören will. Die Walzerkapelle verstummt mit einem Schlag und es ertönt das große Trauerspiel in Moll. „Warum?“ stand immer in den Traueranzeigen der Heimatzeitung, wenn sich mal wieder ein junger Mann umgebracht hatte. Und ich kenne die Stelle, von der er gesprungen ist, sehr genau. Die große, nie gewagte Jugendliebe, die sich die Lampe ausgeknipst hat, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass sein Leben lebenswert sein könnte. Ob ich der Einzige bin, der die Antwort auf das „Warum?“ weiß – oder wollten die anderen keine Antworten hören? Dieses agressive Schweigen, das zu einer Grabplatte aus Stein gerinnt.
Später im Biergarten mit Freunden vertreibt der Alkohol die düsteren Gedanken. Es ist ja vorbei, und dort, wo man früher immer zusammen gesessen hatte, sitzen heute andere Abiturienten mit typischen Regionalfressen und schmieden Zukunftspläne: Raus in „die Welt“, die Sphäre jenseits der Region. Zwei Lesben und einen Schwulen meine ich in der Runde per „Gaydar“, dem inneren Erkennungssystem, ausgespäht zu haben – ob sie es besser haben? Ob sie mutiger sind und sich ihren Freunden und ihrer Familie schon jetzt anvertraut haben? In meinem Jahrgang wäre das undenkbar gewesen. Einen Klassenkameraden traf ich erst neulich zufällig in einer Berliner Homo-Bar. Ich hätte ihn damals schon erkennen können, wenn ich das nötige Selbstvertrauen gehabt hätte. Man muss eben erst lernen, mit dem „Gaydar“ umzugehen – und schon ist man nicht mehr allein.
Die Jugend von heute ist darauf nicht mehr angewiesen. Wo früher nur Dr. Sommer von Bravowar, ist heute das Internet. Mann kann sich informieren und notfalls anonym Kontakte knüpfen. Ich hingegen warte noch heute darauf, dass die „vorübergehende Phase“ vorübergeht. So lautete die Standardantwort von Dr. Sommer, wenn in Not geratene, gleichgeschlechtlich empfindende Kids geschrieben hatten.
Ich muss an meinen Freund denken, der wahrscheinlich gerade um ein heidnisches Osterfeuer in Brandenburg tanzt, Bratwurst isst und dazu Wolfgang Petri hört – Osterfeuer ohne Wolfgang Petri gibt’s nicht. Ich schicke ihm eine SMS aus der Heimat in meine neue Heimat und kündige schon mal reichhaltige Ostergeschenke an. Apfelsaft von heimischen Streuobstwiesen, von Mutter gefärbte Ostereier und selbstgemachte Marmeladen, Leberwurst vom Landfleischer. Er schreibt zurück, dass er mich vermisst. Und ich, innerlich Rosa von Praunheims Baseballkappe aufsetzend, bin verdammt froh, dass die Dr. Sommer-„Phase“ immer noch andauert. Nächstes Jahr kommt er mit, verdammt.