Kolumne 117

23.7.2014

Martin Reichert Erwachsen

Safer Politics

DER EUROPÄISCHE GERICHTSHOF KRITISIERT DAS BLUTSPENDEVERBOT FÜR HOMOSEXUELLE. ABER WARUM MUSS ER DEN JOB ÜBERNEHMEN?

Als Student muss man sich was einfallen lassen, um über die Runden zu kommen. War immer schon so. Mann kann als Pinguin verkleidet Werbeprospekte für Telekommunikationsanbieter verteilen, hilflos in gastrokommerziellen Erlebnisbereichen hin und her wetzen, auf den Strich gehen. Oder Blut spenden, beziehungsweise Plasma: „In der Charité bekommst du für eine Plasma-Spende 80 Mark“, hatte seinerzeit eine Freundin geraten, die selbst gerade glücklich einen Aushilfsjob in einem altmodischen Berliner Kartoffelfachgeschäft gefunden hatte, das den schönen Namen „Kartoffel Krohn“ trug.

Plasma spenden also, warum nicht? Danach könnte man von den 80 Mark etwas Warmes essen gehen und die Reserven wieder auffüllen. Frohgemut fuhr ich zur Blutspendenstation und beantwortete brav all die Fragen auf dem Bogen, den man mir gereicht hatte – bis sie dann tatsächlich kam, die eine Frage: Sind Sie homo- oder bisexuell? Von der freundlichen Dame am Tresen erfuhr ich, dass ich, leider leider, von der Blut- und Plasmaspende generell ausgeschlossen sei. Wortlos verließ ich das Krankenhaus. Ein Schock: Sollte es also wirklich wahr sein, das man als Homosexueller diskriminiert und ausgeschlossen wird? Einer Randgruppe angehört, die man nur mit spitzen Fingern anfasst? Es war das erste Mal, das mir ganz konkret eine Tür vor der Nase zugeschlagen worden war aufgrund meiner Homosexualität.

Dieser Vorfall hatte sich Mitte der neunziger Jahre ereignet, in einer Zeit, in der Aids aufgrund neuer Behandlungsmethoden begann, seinen Schrecken zu verlieren, und in die ich mit meinem Coming-out hineingeboren worden war. „Anything goes“ war das Motto der Zeit, oder auch „Friede, Freude, Eierkuchen“. Doch an diesem Nachmittag war da plötzlich ein dunkler, drohender Schatten. Ich sah ein Bild vor meinen Augen, dass sich in mein Gedächtnis gebrannt hatte, als ich noch ein Teenager war. Rock Hudson, der auf dem Pariser Flughafen in einen Air-France-Jumbo getragen wird. Er hatte den kompletten Jet chartern müssen, weil sich alle anderen Passagiere geweigert hatten, mit einem Aids-Kranken zu reisen.

Nun also, im Jahr 2014, reagiert der Europäische Gerichtshof, erkennt den diskriminierenden Charakter einer Gesetzgebung, die einer Zeit entstammt, in der man bei „Kartoffel Krohn“ ein halbes Kilo „Bintje“ kaufen konnte und Mobiltelefone so groß waren wie ein Reisekoffer.

Diese Gesetzesregelung trug immer schon latent virtuelle Züge – ich hätte damals ja einfach „nein“ ankreuzen können und die 80 Mark nehmen. Wer hätte überprüfen wollen und können, mit wem oder mit wie vielen ich zu diesem Zeitpunkt schlief? Es hatte ja niemand „die Lampe gehalten“, wie es so schön heißt.

Verlogen ist aber eher die Politik, denn die großen Parteien werden sich hüten, dieses Thema auch nur mit spitzen Fingern anzufassen. Das Handeln überlässt man in diesen Fragen lieber den Gerichten, die eine Art Kondom-Funktion haben: Safer Politics, schützt vor kontaminiertem Volksempfinden.

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