Kolumne 118

6.8.2014

Martin Reichert Erwachsen

Wie im späten Rom

ZEHN JAHRE TRÄNEN, TECHNO, WUMM-WUMM, DROGEN, ORGIEN, STEUERUNTERLAGEN – HAPPY BIRTHDAY, BERGHAIN!

Der Berliner Club Berghain hat Geburtstag – und ist mit seinen zehn Jahren immer noch nicht alt genug, um Einlass in sich selbst zu bekommen. Aber wozu auch: Die halbe Welt steht Schlange vor der Tür, begutachtet von Türstehern, die längst einen Promi-Status haben und Bücher schreiben.

Zehn Jahre Berghain, der Blick zurück ergibt: Wenigstens dieses Schlangestehen ist mir in meinem Leben erspart geblieben – dank antizyklischer Nutzung. Denn stets wenn ich im Berghain fertig war und nach Hause wollte, fingen die anderen erst an. Mit Schlangestehen. Aufgeregt schnatternde spanische Anglistik-Studentinnen, tapfer-cool dreinschauende Bart-Boys aus Down Under und wo sie noch alle herkamen, bunter getrieben wird es wohl nur noch beim päpstlichen Weltjugendtag.

Dramen konnte man da erleben, wenn man kurz nach Mitternacht am Taxistand auf weinende junge Menschen traf, die es nicht hineingeschafft hatten, die abgewiesen wurden. Halb tränenerstickt nur noch in der Lage „Watergate, please“ zu stammeln. Auch erinnere ich den laut geschrienen Satz „I PAYED FUCKING 1.200 DOLLARS FOR THE FLIGHT AND NOW THEY DON’T LET ME IN!“. Was hat man falsch gemacht? Aura verschattet? Falsches T-Shirt? Schlimm, besonders wenn direkt daneben gerade erst die Wurstbude aufmacht, die Nacht beginnt.

Nein, ich habe es mit dem Berghain meist so gehalten wie mit dem Urlaub – erst dann fahren, wenn die Schulferien wirklich beendet sind. Der Einlass zu den schwulen Sexpartys im Lab.Oratory, erreichbar über einen Seiteneingang, ist bereits am frühen Abend, und wenn man gut organisiert ist, liegt man rechtzeitig zu den Spätnachrichten im Bett. Techno, Wummer-Wummer, Drogen, Sex, Orgie – und dann nach Hause, um noch die Steuerunterlagen zu sortieren.

Das finden Sie absurd? Keineswegs, denn die Aura von Verruchtheit, Babylon und spätem Rom ist ebenfalls von Verschattung bedroht, wenn man den Fehler begeht, einmal kurz auf die Gespräche der anderen Clubgänger zu achten, die martialische Kulisse aus Techno, nackten Leibern und Industrial-Design wegblendet. Schon fühlt man sich wie beim Betriebsausflug eines mittelständischen Unternehmens, gesprochen wird über Gehaltsabrechnungen, Urlaubspläne, Automobilerwerb und gesundheitliche Probleme des Hundes.

Man soll so etwas aber nicht machen. Die Entzauberung der Welt ist auch so schon weit genug vorangeschritten. Also dennoch, liebes Berghain: Alles Gute zum Geburtstag, denn du verzauberst die Menschen und stillst ihre Sehnsüchte nach dem Besonderen. Hinter deinen schützenden Mauern fällt es ihnen leichter, wenigstens für kurze Zeit den Augenblick als solchen zu erleben, zu vergessen, wie banal der Alltag ist mit seinen Steuerunterlagen.

Das funktioniert aber nur, wenn alle mitmachen. Und manchmal, wenn ich mich wirklich auf dich eingelassen habe, dann war es wirklich schön bei dir. Wie im späten Rom. Danke dafür. Und natürlich dafür, dass du mich nie in der Schlange hast stehen lassen.

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