4.3.2015
Martin Reichert Erwachsen
In Wänden aus reinem Gold
WENN ES IN DER NACHBARSCHAFT NICHT NUR BRENZLIG RIECHT SONDERN BRENZLIG WIRD
Als einmal das Dach der Mietskaserne brannte, in der mit altem und daher bezahlbarem Mietvertrag zu wohnen ich die Freude habe, standen wir Bewohner mit Nachtbekleidung auf der Straße und waren für Berliner Verhältnisse ziemlich fassungslos. Erst eine Kollegin, die zufällig des Weges kam (mitten in der Nacht), erinnerte mich seinerzeit daran, dass es sich in dieser Stadt nicht ziemt, wirklich aufgeregt zu sein. Nachdem sie mit ihrer Ausgehtruppe ein paar Minuten neben mir gestanden hatte, im Schein der züngelnden Flammen, sagte sie: „Es wird langweilig. Wir gehen jetzt zu McDonald’s Hermannplatz. Ciao.“
Neulich war es dann wieder so weit. Mitten in der Nacht Brandgeruch und der Schein von Blaulicht, draußen vor dem Fenster. Mein Freund stand senkrecht im Bett und sprach in fremden Zungen, „Fire! There is Fire, and Police!“ und dann noch was auf slowenisch, das schön klang und unverständlich, aber auch verängstigt. In Nachtbekleidung schlurfte ich also auf den Balkon und wusste innerhalb von Sekunden, was los ist: Eine wahrscheinlich politisch motivierte, gentrifizierungskritische Autoabfackelung.
Schlaftrunken versuchte ich ihm nun zu erklären, dass so etwas ganz normal ist und dass wir nun einfach weiterschlafen könnten, wenn er denn bereit sei. Als ich ihm dann auch noch erklärte, dass man so etwas ganz einfach mit Kaminanzünder von Penny machen kann, wurde er allerdings noch wacher, weil sein eigenes Auto vor der Tür stand. Beruhigen konnte ich ihn nur, indem ich glaubwürdig darlegte, dass sein Fahrzeug zwar aufgrund skandinavischer Fabrikation potentiell gefährdet sei, andererseits aber durch erkennbar nichtdeutsche Beschilderung geschützt: „It’s not decent to burn the car of a Ausländer if you are a left-wing autonomous.“ Landeskunde für Fortgeschrittene.
Am nächsten Morgen recherchierte ich die Geschehnisse vor meiner Tür über das Internet, denn meine Nachbarn sehe ich ja höchstens mal, wenn die eigene Hütte brennt: Das abgefackelte Fahrzeug war mit einer großflächigen Banken-Werbung versehen und wurde so zum dankbaren da symbolträchtigen Opfer. Und mein Freund fand mittels eines Anrufs im fernen Heimatland heraus, dass sein Auto gegen „Vandalismus“ versichert ist.
Heute morgen dann bekam die Geschichte noch einen anderen Dreh, auch wenn wir schon wieder senkrecht im Bett standen. Im Haus nebenan wummerten ab sieben Uhr die Pressluftbohrer. Seit Wochen schon war da ein Gerüst – versehen mit Flyern: Die Mieter des Hauses hatten gegen den österreichischen Investor geklagt, der die Neuköllner Immobilie luxussanieren möchte; zunächst erfolgreich, ein Baustopp konnte erwirkt werden.
Nun also haben die Nachbarn den Krieg verloren. Wer in diesem Teil der Stadt wohnt, haust in Betongold, das gierig macht. Die Einschläge kommen näher – und was tut man als ordentlich ignoranter Berliner Nachbar? Nichts, bloß nicht aufregen und man selbst hat ja Glück gehabt. Ist so laut hier, wir gehen jetzt in den Park. Ciao.