8.2.2018
Martin Reichert Herbstzeitlos
Was heißt eigentlich Hass auf Italienisch?
Misstrauen ist angebracht, wenn sich an einem Dienstagabend zur Kino-Spätvorstellung Heerscharen in der Lichtspielstätte einfinden. Obacht, es könnte sich um einen fiesen Hype handeln. Was sonst könnte der Grund sein, wenn sogar nach dem Mongay noch eine Extra-Vorstellung einberufen wurde?
Andererseits kann es auch angebracht sein, immer nur vom Besten auszugehen: Ist es nicht allzu verständlich, wenn sich von Winter und Lichtlosigkeit gepeinigte Großstädter wacker auf die Beine machen, um endlich Sommer, Licht und Wärme zu tanken – und das auch noch in italienischem Umfeld?.
„Call me by your Name“, eine mit schönen Menschen und herrlichen Interieurs ausstaffierte Hipster-Schmonzette, das ist der Film, der die Lemminge heute hierher getrieben hat in das ehemalige Premierenkino der DDR. Das entsprechend großzügig und luftig gestaltet ist, sodass man – gerade an einem Dienstagabend – normalerweise in Ruhe sein Ben & Jerrys kaufen kann, womöglich noch ein bisschen in den Sesseln im Foyer herumlümmeln, dann schön Werbung gucken, zur Einstimmung – für die Apotheke nebenan, Ökostrom und taz.de.
Aber heute: nichts da. Ein Gedränge wie im Karstadt-Schnäppchenmarkt beim Schlussverkauf, aber mit internationaler, kulturelles Interesse ausstellender LGBTIQ*-Crowd; die jedoch nicht frei ist von einer gewissen Rudeness beim Berghain-gestählten Queuing.
Und nein, Döner essen in einer Indoor-Kinoschlange ist sogar in Berlin not decent, das Mit-Hineinnehmen der miefigen Fleischtasche in den Kinosaal erst recht nicht. Am Herkunftsort wäre der jungen Frau von Nonnen auf die Fingerchen geklopft worden, hätte sie es gewagt, auch nur ein Amarettoplätzchen mit in die Vorführung zu nehmen!
Dann endlich geht es los. Die Achtziger sind im Film so schön, dass man fast vergessen kann, wie es damals wirklich war; ungeheuer hilfreich in dieser Hinsicht auch, dass er im Sommer 1983 spielt, also zu einem Zeitpunkt, an dem Aids gerade erst in Europa ankam. Autos ohne Katalysator und Liebe ohne Gummi, Nutella auf dem Frühstückstisch und früher Synthie-Pop im Radio.
Wenn nur die Gegenwart nicht wäre: ein trockener, aber doch kräftiger Husten gleich hinter uns links – und von hinten rechts Tritte in die Rückenlehne. Dazu das Gekraschpel, Geräuspere und Gewispere eines bis auf den letzten Platz besetzten Großkinos.
So nahm also die Hipster-Schmonzette ihren Lauf. Der Sommer so flirrend, die Abende so lauschig. Bisexuelles Nacht- und Nacktbaden. Husten und Tritte in den Rücken, Husten und Tritte in den Rücken. Husten und Tritte in den Rücken. Nach 44 Hustern, also ungefähr in der Hälfte des Films, war mein Lebensgefährte eingeschlafen. Und nach dem 88. Husten war es dann endlich vorbei mit der Herrlichkeit. Aber hey, Amore! Amore! Was Hass auf Italienisch heißt, weiß ich leider nicht.