Kolumn 112

9.4.2014

Martin Reichert Erwachsen

Das Phantom des Darkrooms

„MORD IM HOMOSEXUELLEN-MILIEU“, DAS HÖRT SICH NACH „TATORT“ AN ODER VORABEND-KRIMI IM ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN FERNSEHEN

Der Darkroommörder hat sich das Leben genommen. Eine Meldung, die medial relevant nur für die Abteilung „Lokales“ in Berlin ist – und für schwule Männer. Aber wer war nun dieser Darkroommörder? Sein Name war Dirk P. Im Jahr 2012 hatte er drei Männer mit sogenannten K.-o.-Tropfen getötet, einen von ihnen im Darkroom einer Berliner Schwulenbar, zwei andere, nachdem er sich mit ihnen über einen Gay-Chatroom in deren Wohnung verabredet hatte. Der 39-Jährige hatte seine Opfer ausgeraubt – er wurde zu 25 Jahren Haft verurteilt.

Eine traurige, schreckliche Geschichte, von der man sich gerade als Schwuler am liebsten abwenden möchte. „Mord im Homosexuellen-Milieu“, das hört sich nach „Tatort“ an oder Vorabend-Krimi im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, gut gemeint vielleicht, aber die Zeiten sind doch eigentlich vorbei, möchte man so gerne denken – und den Rest der Gesellschaft glauben lassen: Hey, Leute, wir sind doch eigentlich wie ihr. Wir tragen auch Jeans und Wollpulli und wollen Kinder und einen Bausparvertrag.

Das stimmt sicher auch, aber doch ist da noch dieses andere Leben, die sogenannte „Szene“, die auch von schwulen Wollpulliträgern ganz unaufgeregt besucht wird, an der man teilhat in der ein oder anderen Form. Man geht mit Freunden in eine Schwulenbar, die auch über einen Darkroom verfügt. Man verabredet sich mit Wildfremden über das Netz, um Sex zu haben. Das gehört für viele Schwule schlicht zum Alltag. Ganz langweilig eigentlich, man macht sich da keinen Kopf. Spricht auch nicht groß darüber.

Und doch war das Schweigen ziemlich ohrenbetäubend, als seinerzeit der Darkroommörder in Berlin umging. K.-o.-Tropfen, Darkroom, Verbrechen – was hat das schon mit mir zu tun? Eine ganze Menge vielleicht, wenn man sich nur mal die Mühe macht, näher hinzuschauen. K.-o.-Tropfen, das ist Liquid Ecstasy, GHB, eine Droge, die in ziemlicher Selbstverständlichkeit konsumiert wird, besonders im Rahmen sexueller Kontakte. Einfach zu beschaffen, man kauft einen bestimmten Felgenreiniger über das Netz und mischt das Zeug mit Wasser. Bei Überdosierung: leider tödlich.

Gesprochen wird darüber eher nicht. So wie man ja auch im Darkroom eher nicht spricht. Wirklich erschreckend an diesem „Darkroommord“ war, dass das Opfer wohl über mehrere Stunden tot in besagtem „beruhigtem Gastraum“ gelegen hat, bevor sein Ableben entdeckt wurde. Die anderen Gäste waren wohl zu beschäftigt oder zu benebelt.

Solche Stätten können Orte der Freiheit sein, der abenteuerlichen Grenzüberschreitung. Fremde Menschen auf diese Weise kennenzulernen, das kann auch Liebe bedeuten, sei sie auch ganz still und flüchtig, da ist sie doch. Muss aber auch nicht. Dirk P. wollte laut seinem Richter seine Habgier befriedigen und „die totale Macht über andere spüren und sich daran ergötzen“.

Er lebt nicht mehr. Es bleibt nur das Schweigen und das Wegsehen und das Weitermachen. Und wenn es gut läuft mit der Eigenliebe, die Bedachtsamkeit, auf das eigene Getränk besser aufzupassen.

Kolumn 111

26.3.2014

Martin Reichert Erwachsen

Die Frau mit der Topffrisur

KEINE TRANSE, KEIN FAN. DIE ECHTE MATHIEU IST ZU BESUCH IN KLEIN PARIS

Als ich zum ersten Mal in meinem Leben Mireille Mathieu in Bukarest live gesehen habe, saß sie direkt neben mir. Aber diesen Satz müsste man wohl erklären.

Zunächst einmal war Mireille Mathieu nichts als eine typische Kindheitserinnerung der um die 1970 herum Geborenen. Die Familie versammelt sich abends vor dem Fernseher. Mireille kommt im schwarzen Kleid und singt etwas. Manchmal alleine, manchmal mit Peter Alexander. Dann verschwand sie für einige Zeit aus meinem Leben – bis sie auf Umwegen als „Transe“ wieder auftauchte, in diversen Travestie-Shows nämlich. Man kann sie dank Frisur und Mimik mindestens so gut nachahmen wie Cher oder Milva. Die dramatischen Handbewegungen, das Lächeln mit weit aufgerissenem, rot geschminktem Mund. Irgendwann wusste ich gar nicht mehr, ob es diese Frau wirklich gibt. Als dann ein guter Freund fragte, ob ich mit nach Bukarest zu Mireille Mathieu wolle, sagte ich sofort Ja: Weder sie noch ich waren zuvor in Bukarest, und was könnte schräger sein als ein solches Zusammentreffen?

Am Abend des Konzerts schien dann die ganze Stadt aus dem Häuschen zu sein – ein riesiges Polizeiaufgebot. Die Mathieu zu Besuch in Klein Paris – so nannte man die Hauptstadt Rumäniens dereinst, die Kapitale in der Wallachei, gelegen an der Strecke Paris–Istanbul (Orient Express), gebeutelt erst von Erdbeben, später von Ceausescu. Die meisten Besucher an diesem Abend sind mindestens so alt wie die Künstlerin und haben sich in Schale geworfen. Die Karten waren unermesslich teuer – und der Saal, ein riesiger sozialistischer Tempel, bis auf den letzten Platz besetzt.

Rechts neben mir: Mireille Mathieu. Sie trägt ein rotes Kostüm, hohe Schuhe. Sie riecht nach Chanel Nr. 5, die Sassoon-Frisur sitzt. Sie hat ein Gebinde aus rosa Orchideen auf dem Schoß. Muss sie nicht auf die Bühne? Sie kann nicht, sie ist mit der Familie da, ihre Mutter trägt ein dramatisches Kopftuch, die Tochter ein Mireille-Basecap. Und ihr Mann, ein Trumm, versperrt die Sitzreihe.

Dann kommt die tatsächliche Mathieu auf die Bühne. Keine Transe, kein Fan – dem Anschein nach: echt. Im schwarzen Kleid, mit rot geschminkten Lippen. Sie singt. Lieder von Brel und von der Piaf. Sie singt ernsthaft „Akropolis Adieu“. Sie muss wohl wirklich sein.

Das Gesicht sieht aus der Nähe nicht mehr so aus wie auf den Plakaten. Die Stimme ist wiederzuerkennen, aber sie hat an einigen Stellen deutliche Probleme mit den Höhen. Alle verzeihen ihr das. Sie bekommt Blumen. Applaus. Schön, dass es sie noch gibt, die Frau mit der Topffrisur aus dem Farbfernseher.

Am Ende des Konzerts versuche ich ein Foto mit Mireille von nebenan zu bekommen, doch sie entfleucht rasch in Richtung Ausgang – das Gebinde aus Blumen hatte sie nicht überreichen können, ihr Mann saß ja im Weg.

Später, im Hotel, noch eine Zigarette am Fenster. Gegenüber spielt eine Kapelle in die warme Nacht. Und irgendwo hier im Zentrum der Stadt, ganz in der Nähe hört vielleicht gerade Mireille Mathieu zu und fragt sich: Was mache ich eigentlich hier? In Bukarest?

Kolumne 110

12.3.2014

Martin Reichert Erwachsen

Rosen gibt’s hier nicht, Schätzelein!

HOSENSTALL AUF? AUS VERSEHEN EIN T-SHIRT MIT RASSISTISCHEM SLOGAN ANGEZOGEN? ODER WARUM,VERDAMMT NOCH MAL, STARREN MICH ALLE SO AN?

Wer in einer Großstadt lebt, weiß in der Regel den Komfort von Anonymität, Ignoranz und mangelnder Sozialkontrolle zu schätzen. Umso unheimlicher ist es, wenn man plötzlich zu einem Gegenstand öffentlicher Aufmerksamkeit wird.

Es fing mit einem harmlosen Stehrümchen an einer Bushaltestelle im West-Berliner Zentrum an – der Bus kam nicht, dafür aber unzählige junge und mittelalte Frauen, die mich im Vorbeigehen anstarrten. Nicht unfreundlich zwar, im Gegenteil, aber sie starrten. Hosenstall auf? Aus Versehen ein T-Shirt mit menschenverachtendem Slogan angezogen? Nicht stadtteilkompatible Kleidung? Keine Ahnung.

In der U-Bahn stießen sich in letzter Zeit immer mal wieder junge Mädchen an, wenn ich ihnen gegenüber saß und wisperten, „Das isser. Das isser!“, und quietschten wie die Meerschweinchen. War ich vielleicht über Nacht zur Youtube-Celebrity geworden, weil mich irgendjemand bei einem Missgeschick im Alltag gefilmt hatte? Der Zusammenstoß mit einem Poller neulich war in seiner Dämlichkeit schon filmreif, okay.

Doch nicht nur freundliche Blicke sollten mich im Weiteren begleiten. Junge Herren bedachten mich des Öfteren mit abschätzigem, teils höhnischen Blicken – Homophobie jetzt auch wieder gesellschafsfähig im Bereich des akademisierten Mittelstandes mit Nerd-Brille? Kann doch wohl nicht wahr sein?

Die Offenbarung des Rätsels ließ auf sich warten, erfolgte aber schließlich an der Wursttheke der Karstadt-Lebensmittelabteilung. Es fing an wie gewohnt. „Guck mal“ stupste die eine Verkäuferin die andere an, „Dit isser“. Sie zurück: „Ja, jenau – dit isser doch.“ Nun traute ich mich doch, einmal nachzufragen: „Wer genau soll ich denn bitte sein, kennen wir uns? Ich kann mir diese Abteilung hier eigentlich nicht leisten und bin nicht wirklich so oft….“. Unisono kam es zurück: „Na, der Bachelor! Ditt sindse doch!“.

Ich antwortete noch schüchtern, dass ich einen Magister-Abschluss … früher, alles besser … aber es gab kein Halten mehr, auch nicht im Kundinnenbereich vor der Wursttheke. „Kiek mal, jenau die gleichen Augen – vielleicht nicht ganz so stechend, wah? Na ja, dit Licht …“. Ergänzend eine Kundin: „Den Bart trägt er ooch länger, aber sonst? Ja, dit kommt hin“.

Es stellte sich heraus, das der aktuelle Protagonist der RTL-Kuppelshow „Der Bachelor“ ebenfalls Glatzenträger ist und anscheinend eine gewisse Ähnlichkeit mit mir hat. Ein Herr, der über die letzten Wochen mit diversen Damen in Südafrika kaserniert war, um dort kameraüberwacht seine Zukünftige zu erwählen. „Kennt doch jedet Kind“, beschied man mir.

Nun ist der Spuk nun hoffentlich zu Ende, die letzte Folge wird am Mittwochabend gesendet. Den Bachelor aber kann ich nur warnen: Die meisten taz-Leser, behaupte ich jetzt mal, schauen keine Kuppel-Shows – und wenn er Pech hat, wird er mit mir verwechselt. Nicht nur, dass er dann damit klar kommen muss, als Homo geoutet zu sein, schlimmer noch: Ich habe in der letzten Kolumne Rentner-Bashing betrieben und voll auf die Mütze bekommen.

Zieh Dich warm an, Bachelor.

Kolumne 109

26.2.2014

Martin Reichert Erwachsen

Die Ballermann-Rentner

EL ARENAL IST TOT, ABER DAS HOTEL VOLL. UND WENN GLITZER-PEDRO SPIELT, DANN GEHT DIE LUZIE ERST RECHT AB. STÖSSCHEN!

Antizyklisches Reisen wird überschätzt. Zwar stimmt es natürlich, dass die touristisch stark frequentierte Balearen-Insel Mallorca im Februar nicht gerade Hauptsaison hat, doch von Dornröschenschlaf könnte nur sprechen, wer Deutschlands krakelige Kinder des Wirtschaftswunders nicht auf dem Schirm hat: die rüstigen Rentner.

Ja, im Februar blüht die Mandel auf der Insel und auch der Rosmarin. Menschen spielen zum Selbstzweck Gitarre vor malerisch gelegenen Kirchen, während in der berüchtigten Schinkenstraße von El Arenal – Ballermann! – alle Läden geschlossen haben. Keine Bratwurst beim „Wurstmeister“, kein Strammer Max bei „Elfi’s Bierschwemme“ und im MEGA-PARK wird gebaut statt gesoffen. Doch das Hotel ist voll.

Eben noch lag man windelweich im Viersternebett, doch kaum taumelt man aus der Zimmertür, bekommt man von zäh aussehenden Ü60-Landsleuten in Trekking-Kleidung ein zackiges „Guten Morgen“ an den Kopf geworfen. Entweder sie kamen gerade von einer Inselumradlung oder vom Fünfkilometerschwimmen im eiskalten Meer.

Der Frühstücksraum sieht aus wie ein Seniorenheim – auch die Kellner haben noch mit Franco im Sandkasten gespielt –, doch von Totenruhe keine Spur. Im Gegenteil wird hier reingehauen, was das Zeug hält. Spiegeleier, Rühreier, Berge von Backwaren – es ist ja alles bezahlt und man braucht ENERGIE für den Tag. Die Kegel-Clique am Nachbartisch hat sich vorsorglich gleich den ganzen Kübel mit Frühstücks-Prosecco auf den Tisch gepackt, „Stößchen!“.

Macht man einen Ausflug ins bergige Hinterland, bei dem man mühsam steinerne Pfade erklimmt, sind die Rentner garantiert schon da und trinken Rosé, „Grüß Gott“.

Am späteren Nachmittag besetzten sie entweder den Hotel-Pool zwecks Leistungsschwimmen oder ziehen auf der Terrasse eine Schachtel Marlboro zum Sangria durch.

Denn gleich ist ja schon wieder Abendessen, und da muss man sich sowieso wieder zwei Flaschen Rotwein reinpfeifen, um die ganzen frisch gegrillten Fleischberge und fettigen Mayo-Salate runterzuspülen. Dazu Törtchen, Torten und Käsebatzen. Das gibt dann Kraft, und die brauchen die Rentner.

Der Abend ist ja noch nicht vorbei. Punkt 19 Uhr startet der Alleinunterhalter sein Programm, Pedro in der Glitzerweste an seiner Elektro-Orgel. Und jetzt geht die Luzie erst recht ab. Eimergroße „Carlos“-Weinbrand-Gläser werden gestemmt, voluminöse Biere und Cocktails, während grell geschminkte Großmütter eine sogenannte FLOTTE SOHLE auf das Parkett legen: Rock ’n’ Roll. Und zwar: Around the Clock.

Später dann, wenn Glitzer-Pedro längst nass geschwitzt auf der Notfallliege röchelt, zwitschern die Renter Schnäpschen und Likörchen auf den Balkonen, wozu sie Schlager singen und Slim-Line-Zigaretten rauchen, deren Kippen sie dann dreist in den Außenpool

Wenn ich noch einmal an den Ballermann reisen sollte, dann nur zur Hauptsaison. Im Urlaub will man ja in meinem Alter auch mal seine Ruhe haben.

Kolumne 108

29.1.2014

Martin Reichert Erwachsen

Albtraum: Redakteur bei RTL

ALS ERWACHSENER MUSS MAN SCHLAFEN, UM AM NÄCHSTEN TAG ZU ARBEITEN. DOCH ES GIBT SCHLAFSTÖRUNGEN UND TRÄUME MIT DIETER BOHLEN

Stellen Sie sich vor, Sie wachen morgens in aller Früh auf und denken, die Nachtigall trapst – und dann stellt sich heraus, dass es bloß ein Lkw ist, der rückwärts einparkt.

So ist das mit dem Erwachsensein. Desillusionierend, und außerdem ist es draußen furchtbar kalt, es schneit sogar. Eine gute Zeit eigentlich, um sich endlich einmal so zu verhalten, wie es sich für Erwachsene gehört. Man geht abends nicht aus, sondern bleibt zu Hause, widmet sich ein wenig der Medienrezeption und geht dann spätestens um Mitternacht ins Bett.

Wie sagte neulich eine Freundin, Mutter eines pubertierenden Sohnes: „Als Kind denkt man, dass man als Erwachsener tun und lassen kann, was man will. Aber man muss eben auch schlafen, damit man am nächsten Tag arbeiten kann.“

Damit fangen die Probleme an. Das Einschlafen zum Beispiel. Nicht schwer, wenn man total übermüdet aus einer Bar / aus dem Theater / von einer Veranstaltung kommt und dankbar wie ein Stein in die Kissen sinkt. Aber schwierig, wenn man putzmunter ist von der ganzen inneren Ausgeglichenheit, welche man auch als Mix aus Langeweile und Einsamkeit bezeichnen könnte, wäre man nicht: erwachsen.

Heimgesucht wird man von Träumen, die durch unruhigen Halbschlaf in das Bewusstsein dringen, leider.

So war ich neulich des Nachts zu Besuch bei Catherine Deneuve in ihrem Pariser Appartement, irgendwo in der Nähe der Avenue Foch. Madame war in einen weißen Kittel gewandet und bemalte inmitten ihres Wohnzimmers riesige Leinwände – nicht ohne dabei die kostbaren Fauteuils mit Farbe zu bekleckern. Dann kam die Problemstellung: Sie hatte Mäuse in ihrer Wohnung, und nun war es an mir, sie zu beseitigen. Will man so etwas träumen? Kammerjäger bei Catherine Deneuve?!

In der Nacht von Sonntag auf Montag wiederum hatte ich einen Albtraum. Ich war Redakteur bei RTL und musste unter Hochdruck irgendwelche Konfliktsituationen zwischen hysterischen C-Prominenten konstruieren („Dschungelcamp“) und für „DSDS“ Kandidaten finden, die sich freiwillig als totale Larrys vorführen lassen. Falls ich es nicht schaffte, würde man mir SUV und Tankkarte wegnehmen. Zumindest blinkte diese Drohung auf dem Bildschirm meines Laptops in Form einer Intranet-Mail von Dieter Bohlen.

Ich war nass geschwitzt.

Gestern war ich dann wirklich zermürbt von den schlaflosen Nächten. Der Fernseher blieb aus und ich ging in die Bar um die Ecke. Ein Bekannter am Tresen erzählte mir von seinem letzten Albtraum – er war Gast bei seiner eigenen Beerdigung: „Ich konnte jedes einzelne Gesicht genau erkennen. Meine Eltern, mein Bruder, ich weiß nun, was auf mich zukommt.“

Der Barkeeper ergänzte: „Statistisch gesehen ist es ja so, dass die meisten Menschen zu Hause sterben. Es ist nur nicht ganz geklärt, ob in ihrem Bett oder auf der Couch.“

Vielleicht, so dachte ich, nachdem ich mir noch ein Hefeweizen bestellt hatte, wäre es gerade eher an der Zeit für einen tierischen Winterschlaf. Erwachsen werde ich dann im Frühjahr.

 

Kolumne 107

15.1.2014

Martin Reichert Erwachsen

Kriegt den Ball nicht ins Tor

DIE WELT DES SPORTS IST EINE NIE VERSIEGENDE QUELLE DER MISSVERSTÄNDNISSE. ALS MANN FÜR DEN SPORTCRACK SCHWÄRMEN? EINE KRUDE IDEE

Zum Coming-out gab es damals keinen Blumenstrauß. Niemand gratulierte mir zu meinem „Mut“, der Bild-Zeitung war es keine Zeile wert und auch der Sprecher der seinerzeitigen Regierung Kohl hüllte sich in Schweigen – es muss wohl damit zu tun gehabt haben, dass ich nicht Fußball spielen kann.

Diese Tatsache hat mit meiner sexuellen Orientierung bei Licht betrachtet nichts zu tun. Mein pädagogisches Umfeld hatte schlicht verabsäumt, mich in Fragen des Ballsports zu instruieren. Meine Fußball-Karriere stand so insgesamt unter einem schlechten Stern: Das erste Spiel meines Lebens fand in der Turnhalle einer Grundschule statt: „So, und jetzt spielen wir eine Runde Fußball“, hatte der Lehrer in seinem viel zu engen Siebziger-Jahre-Adidas Anzug verkündet und alle Jungs hatten ein Leuchten in den Augen. Verteilten sich auf zwei Mannschaften und fingen an, dem Ball hinterherzulaufen. Der Lehrer hatte die Regeln gar nicht erst erklärt, denn alle wussten sowieso, wie es geht. Ich traute mich gar nicht erst zu fragen und landete schließlich auf der Ersatzbank, die ich bis zum Abschluss der 13. Klasse nicht mehr verließ.

Ich zog mich auf die autistische Sportart des Schwimmens zurück und wurde später – es muss eine Art Unfall gewesen sein – Schulbester im 1.000-Meter-Lauf. Woraufhin eines Abends die Sportcracks der Anstalt vor der Haustür meines Elternhauses standen, um mich zum Duell herauszufordern. Meine Mutter beschied den jungen Muskelprotzen freundlich, dass ich „in der Disco“ sei und somit unabkömmlich.

Zwischen mir und der Welt des Sports gab es also immer Missverständnisse. Für einen der Sportcracks entwickelte ich zum Beispiel eine latente Schwärmerei, die auf eine ernsthafte Ebene zu hieven ich nicht einmal im Traum gekommen wäre. Bei so jemandem, so dachte ich, bekommt man höchstens eins auf die Nase. Ein Typ, der seine Wochenenden mit Sportwettkämpfen verbrachte. Der ständig mit anderen Sportjungs abhing. Fußball spielte. Dieses ganze High-School-Ding. Nur bei so jemandem? Ich war ohnehin der festen Überzeugung, das ich der einzige Mensch in der Region war, der überhaupt auf solch krude Ideen kommt. Für einen Kerl schwärmen! Wenn, dann gab es solche Leute in Großstädten. Sie sprachen stark durch die Nase, machten affektierte Handbewegungen und waren auch ansonsten total von einem anderen Stern. Ich wandte mich von dem Sportcrack ab, obwohl er mit mir befreundet sein wollte. Ich konnte das nicht aushalten.

Jahre später traf ich ihn dann wieder. Natürlich. In einer Schwulen-Bar in Berlin-Schöneberg.

In meiner Jugend habe ich insgesamt noch viel mehr verabsäumt als gemeinschaftliches Duschen mit Fußballern. So vieles, dass ich heute, als Erwachsener, meistens nicht darüber nachdenken möchte. Ein Coming-out wie das von Thomas Hitzlsperger wäre damals noch absolut undenkbar gewesen. Aber jetzt ist es endlich so weit. Dafür, lieber Thomas Hitzlsperger, gibt es von mir vierzig weiße Lilien. Auch wenn ich immer noch nicht weiß, was „Abseits“ bedeutet.

Kolumne 106

18.12.2013

Martin Reichert Erwachsen

In den Fluren singen sacht die Wale

HIER TUMMELN SICH DIE BURNOUT-BEDROHTEN DES MITTELSTANDS: GANZ SCHÖN GRUSELIG, SO EIN WELLNESS-HOTEL

Auf dem Zauberberg der Gegenwart trägt man einen weißen Bademantel, zahlt mit Kreditkarte und schlappt durch die Lobby in Richtung Spa. Hier, im Wellness-Hotel, versammeln sich nicht die Lungenkranken der obersten Kasten, sondern die Burnout-Bedrohten des Mittelstands. Das an der Rezeption ausliegende Gästebuch spricht Bände:

„Ich danke Ihnen für die wundervollen Tage hier in Ihrem Hotel, in denen ich wieder zu mir finden konnte.“ „Es war so schön.“ „Dieser Aufenthalt bei Ihnen hat mich gerettet. Danke.“

Dieser Ort ist keine Klinik und das Personal misst keinen Puls. Es säuselt vielmehr freundlich um einen herum, reicht Frotteehandtücher, die nach Lotusblüte riechen und so groß sind wie ein Jollensegel. In den Fluren singen sacht die Wale, Panflöten tirilieren sogar in der Tiefgarage – und Krach macht nur die Hoteldirektorin, die High Heels trägt und dem Gast ein Glas Sekt reicht mit den Worten: „Gegen Abend soll die Sonne scheinen.“ Ja dann.

Liegt man am Rande des auf 28 Grad geheizten Pools, blickt man in die Dünen. Zu hören ist nur das Gluckern des Wassers, denn niemand käme hier auf die Idee, eine Arschbombe zu machen: Der Informationsschrift des Hotels ist zu entnehmen, dass das Betreten des SPA-Bereichs erst ab 16 Jahren erlaubt ist. Sollte jemand doch auf die Idee kommen, seine Kinder mitzubringen, werden diese in das benachbarte Hotel deportiert, das über einen eigenen Kinderbespaßungsbereich verfügt. Hunde sind ebenfalls nicht erlaubt und müssen auf dem Zimmer verbleiben. „Des Weiteren möchten wir Sie bitten, vom Gebrauch ihrer Mobiltelefone Abstand zu nehmen und möglichst nicht zu rauchen.“

Des Nachts, begraben unter Daunen im King-Size-Bett, stört eigentlich nur die Ostsee, die durch das geöffnete Fenster jahreszeitbedingt etwas lauter rauscht, brandet und dünt als im Sommer. Sicher wird in diesen stürmischen Nächten der Bernstein angeschwemmt, aus dem die Hotel-Alchimisten das heiße Öl bereiten, mit dem man zuvor ausgiebig massiert worden war.

Statt salzarmen Haferschleims wartet am Abend ein Fünf-Gänge-Menü auf die Mühseligen und Beladenen, die nun ihre Bademäntel gegen hochwertige Freizeitkleidung getauscht haben. Man grüßt einander dezent – schließlich saß man eben noch nebeneinander in der Dampfsauna. Das Wellness-Schweigegelübde darf nicht gebrochen werden. Der Hotelpianist gibt erlesene Fahrstuhlmusik zum Besten, während die „Feuilles von der Jakobsmuschel gereicht werden“.

Und dann ertönt der Schrei: „Aaaaaaahhhhhhhhhhhhhhh“. Plötzlich zerreißt der hauchdünne Firniss des Wohlbefindens. Die schmerzerfüllte Klage eines Menschen ist wie ein dunkler Fleck auf dem hellbeigen Klangteppich der postesoterischen Entspannungskultur. Die Gäste sehen einander erschrocken an.

Der Barmann hatte sich bloß einen Korkenzieher in die Hand gerammt. Aber eigentlich war allen sofort klar, dass es Mord gewesen sein musste. Wo, wenn nicht hier? Hoffentlich wird der arme Junge nicht entlassen.

Kolumne 105

4.12.2013

Martin Reichert Erwachsen

Der Weihnachtsmarkt ist wüster

EKSTASE-TOURISTEN IN DER KIEZ-HOMOBAR, AN EINEM STINKLANGWEILIGEN MONTAGABEND

Er kam zielgerichtet auf mich zu, quer durch die Bar, ein Etablissement, das früher zumindest ausschließlich Homosexuellen zugedacht war. Mit Türklingel und Guckloch. Er baute sich vor mir auf – nun gut, er war höchstens 1,70 Meter groß – nahm all seinen Mut zusammen und sagte seinen Satz auf: „Guten Abend. Ich bin Hetero. Und ich brauche Ecstasy.“

Das war nun in jeder Hinsicht beeindruckend. Zunächst fühlte ich mich an einen Ralf-König-Comic aus den Achtzigern erinnert, in dem ein Polit-Homo an einen Eisstand tritt mit den Worten: „Guten Tag, ich bin schwul und hätte gerne zwei Kugeln Vanilleeis.“ Jedenfalls so ähnlich.

Ich antwortete wahrheitsgemäß, dass ich diese Droge zuletzt in den Neunzigern konsumiert hätte und ich auch nicht wüsste, ob es in diesem Etablissement jemanden gab, der einen diesbezüglichen Bauchladen mit sich führte – signalisierte aber freundlich, mich zu erkundigen. Fragte das ein oder andere bekannte Gesicht. „Ecstasy? Ach, du liebe Güte.“ Derweil war ein anderer junger Mann aus dem Umfeld des Ekstase-Touristen in Bedrängnis geraten: „Entschuldigung, wo ist hier bitte die Toilette? Ich bin eben aus Versehen im Darkroom gelandet.“

Man hilft natürlich gerne, insbesondere Fremden, die zu Besuch in der Stadt sind. Allmählich fragte ich mich jedoch, warum sich diese Menschen alle ausgerechnet an mich wandten? Entweder ich wirkte auf sie wie ein Drogendealer – oder schlimmer: Wie ein Herbergsvater?

Als ich ihm nicht weiterhelfen konnte, wurde der junge Mann ungehalten: „DAS kannst du mir nicht erzählen. Das IHR hier in diesem Laden abhängt, ohne Drogen zu nehmen. DAS kannst du mir nicht erzählen!!!“ Er ging beleidigt zu seiner Gruppe. Die Homos um uns herum guckten unschuldig. Starrten in in ihre konventionell-alkoholischen Getränke, rauchten. Und schauten wieder gelangweilt zu dem Monitor mit den Pornofilmen. Ein ganz normaler, stinklangweiliger Montagabend in einer Kiez-Homobar.

Aber die Ekstase-Touristen waren wild entschlossen. Wenn man schon mal in Sodom und Gomorrha vorbeischaut, dann muss es doch auch irgendwie krachen? Eine junge Frau aus der Gruppe war in einen goldglänzenden Umhang gewandet, versehen mit einer voluminösen Kapuze. Sie entschied sich für eine Tanzperformance im Stil von Grace Jones, Achtziger. Doch weil sie während des Tanzes ein iPad in den Händen balancierte, auf dem sie herumwischte, wirkte das Ganze irgendwie aktuell. Niemand beachtete sie.

In der Ecke hinten links saß die exilpersische LGBTI-Gruppe und spielte müde Halma. Die Discokugeln drehten sich wie in Zeitlupe. Irgendjemand sollte vielleicht jetzt mal eine wüste Fisting-Session auf dem Tresen veranstalten. Eine Flasche Poppers anzünden. Jemand müsste ausgepeitscht werden. Oder wenigstens Ausdruckstanz zu Marianne Rosenberg aufführen. Herrje, auf jedem Weihnachtsmarkt ist mehr los.

„DAS kannst du mir nicht erzählen!!“, drohte der junge Mann wieder von seinem Tisch herüber. Ich hatte den Eindruck, dass WIR die Reisegruppe irgendwie enttäuscht hatten.

Kolumne 104

20.11.2013

Martin Reichert Erwachsen

Die Tiefkühlwaren der Kindheit

HEIMAT: FÜR DEN EINEN IST SIE EIN AKW, FÜR DEN ANDEREN EINE KLOAKE, ÜBER DER US-KAMPFJETS KREISEN

Wenn jemand Heimweh hat und, sagen wir, ursprünglich aus Bad Segeberg stammt, dann kann er sich einen Beistelltisch von Möbel Kraft kaufen. Ein ziemlich kostspieliger Akt, um ein in der Regel nur kurzzeitig aufwallendes Gefühl zu befrieden. Stammt ein von solchen Emotionen geplagter Mensch aus Bayern und lebt, sagen wir, in Berlin, dann wird er ohne viel Federlesen eines der zahlreichen hauptstädtischen Lokale mit bayerischer Küche aufsuchen. Fischköpfe gehen ins Nordseerestaurant – und so weiter: Fast alle Migranten, ob innerdeutscher oder internationaler Provenienz, verfügen über eine kulinarische Infrastruktur, die ihren Bedarf nach dem Geschmack ihrer Kindheit zu stillen vermag.

Bei mir ist das die Tiefkühlpizza von Dr. Oetker. Das arme Kind, mag nun mancher denken. Richtig ist jedoch, dass sich in meiner Heimatstadt tief im Südwesten der Republik, fast schon in Frankreich, Europas größte „Pizzastraße“ befand und noch immer befindet. Wenn man von einem der umliegenden Berge in die Stadt im Tal hinabschaut, erscheint der Gebäudekomplex gar als architektonisches Zentrum der Region. Heimat, bei anderen ist sie eben ein AKW oder ein Braunkohlekraftwerk.

Die Kindheitserinnerung geht so: An bestimmten Tagen wurden auf dem Firmengelände sogenannte Bruchpizzen verkauft. Einige waren in der Mitte durchgebrochen, bei anderen fehlte ein Eckchen, aber ansonsten war die Qualität uneingeschränkt. Eine Pizza kostete nur 30 Pfennig – und sie schmeckte meinen Brüdern und mir ganz wunderbar, wenn wir abends vom Sport kamen, erschöpft und mit Bärenhunger. Natürlich bedrängten wir unsere Mutter, stets für Nachschub zu sorgen. Und natürlich war die Verabreichung der Bruchpizza kontingentiert, denn Kinder neigen nun mal zum Dauerjunken, wenn man sie nur lässt. Und doch ist diese TK-Pizza eine schöne Trash-Erinnerung, die ich in eine Reihe stellen kann mit der Erfahrung, dass die Wiese mit den vielen Büschen, auf der ich als Kind immer gespielt hatte, früher einmal eine Müllkippe gewesen war. Und der Bach, an dem wir fleißig Dämme bauten, eine Kloake. US-Kampfjets holten mich regelmäßig im Tiefflug von meinem gelben Fahrrad, weil ich so erschrocken war vom plötzlichen Krach. Und im Sommer hatte ich immer schlimme Verbrennungen, weil kleine blonde Jungs gnadenlos „raus an die frische Luft“ sollten, um „Sonne an die Haut zu lassen“.

Heute, als Erwachsener, muss ich also nur zur nächsten Tankstelle gehen, um mir für circa vier Euro ein rundes Stück Kindheit zurückzukaufen, am liebsten in der Version „Salami“. Es ist ein bisschen störend, dass die hier verkauften Produkte unversehrt sind – aber ich könnte ja zur Not einmal mit der Faust darauf schlagen, schon wäre das Ding in der Mitte entzwei. Die Pizza ist noch immer in der gleichen Plastikfolie eingeschweißt – und dann, beim Verzehr vor der Glotze, ist es wieder da: das tolle Gefühl, wenn man sich den Gaumen mit der zu heißen Tomatensoße verbrennt. Früher konnte man sich allerdings keine Kochsendungen mit Sterneköchen dazu anschauen.

Kolumne 103

6.11.2013

Martin Reichert Erwachsen

Die Natur ist nackt

WENN DAS WETTER SCHLECHTER WIRD, MÜSSEN DIE MENSCHEN UM IHR LEBEN SPAZIEREN

Was machen Singles an einem Sonntag, wenn jahreszeitenbedingt auch noch eine „Seasonal Affective Disorder“ ins Haus steht? Am besten das Haus verlassen und in den nächstbesten Park gehen. Mein Lieblingspark in meinem geliebten Berliner Problembezirk bietet allerhand Möglichkeiten, um den eigenen Gemütszustand zu überprüfen – und zu stimulieren.

Fangen wir mit dem Positiven an: Am Hindu-Tempel im Eingangsbereich des Parks tut sich etwas. Seit Jahren steht dort auf einem Schild zu lesen, dass an dieser Stelle ein Tempel errichtet werden soll, doch stets sah man nur vier Betonstelen, eine Art überdimensionierter Carport. Am Sonntag waren zwei oder drei Arbeiter zu sehen, die dort Ytong-Steine stapelten – und wenn man weiß, dass hier Deutschlands zweitgrößter Hindu-Tempel entstehen soll und es sich bei dem Carport lediglich um das Portal dieses Tempels handelt, dann kennt die Hoffnung einen Ort: eine Baustelle.

Geht man die Anhöhe hinauf, passiert man zunächst den arabischstämmigen Dealer-Ring, um sich dann langsam in die schwarzafrikanische Abteilung vorzuarbeiten. „Psst?“. „Tssss-Tsss?“ – „Nein, danke“. Ein verlässliches Ritual.

Melancholisch stimmt das langsam vergilbende Plakat am nahenden Freiluftkino, „Auf Wiedersehen im Sommer 2014“, auf den Holzbänken liegt Laub, die Leinwand ist abmontiert.

Am Kiosk wurde gerade die Glühweinsaison eröffnet. Man erhält ihn in Plastikbechern. Wie immer im Angebot jedoch Krautwurst und Knacker, Torten von der Firma Coppenrath & Wiese sowie diverse preisgünstige Alkoholika, die von den Stammgästen auf den Plastikstühlen vor dem Kiosk konsumiert werden. Einer von ihnen sitzt im Rollstuhl. „Keine Beine und kein Geld, was für ein beschissenes Leben“, sagt er und lächelt dazu. Ein Lächeln, das richtig verstanden sogar Mut machen könnte. Und der Bonus zum Winter, das sind die Sitzkissen, die am Kiosk nun zum Kaffee gereicht werden – niemand soll sich den Arsch abfrieren.

Geht man weiter in Richtung Moschee, passiert man rechter Seite das Revier der Schwulen. In einem kleinen Wäldchen haben sie Trampelpfade angelegt und gehen spazieren. Immer im Kreis. Noch vor Kurzem haben sie hier auf der Wiese in der Sonne gelegen und ihre Studio-Körper präsentiert. Vorbei. Auch sie sind nun dick verpackt und eingeschnürt. Wo werden sie im kalten Winter sein? Ziehen sie wie die Störche in den Süden? Nehmt mich mit.

Man kann in diesem Park einen richtigen kleinen Berg erklimmen, natürlich ist er aus Trümmern errichtet. Während des Aufstiegs kann man sehr gut sehen, wie der Sommer verrottet. Wie sich das leuchtende Grün in welkendes Braun verwandelt. Dürre, wie vertrocknet wirkende Büsche säumen den Weg, und alles was die letzten Monate gnädig den Unrat bedeckte, ist verschwunden.

Oben auf dem Gipfel angekommen, bleibt nur die Erkenntnis: Die Natur ist nackt! Aber was soll’s, ohne die verdammten Blätter an den Bäumen hat man hier oben jetzt wenigstens Fernsicht. Think positive.