Kolumne 33

3.7.2008

MARTIN REICHERT über LANDMÄNNER

 „Scaloppa Mario“ aus dem Lidl

Auch in Brandenburg ist man Europa zugewandt – doch wenn man nicht aufpasst, sieht man es nur von hinten

Sie müssen nicht glauben, dass wir in Brandenburg uns nur von roh aus dem Sand gescharrtem Spargel, Eberswalder Würsten und Steckrübeneintopf ernähren. Auch wir sind dem Internationalen zugewandt – obwohl am Preußen-Klischee mit den Kartoffeln was dran ist.

Im Ernst: Auch in unserem schönen Ackerbürger-Gemeinwesen gibt es jetzt eine Pizzerei, und auch wir waren dort. Zugegeben, nur weil unsere Wirtinnen uns, ungewöhnlich für einen lauschigen Sommerabend, die Butzenscheiben-Tür vor der Nase zugeschlossen hatten. Und das auch noch ohne Angabe von Gründen – statt „Geschlossener Gesellschaft“ gab es einfach gar keine. Wir bedurften einer Alternative zu „Schnitzel Champignons“. Sie hieß Mario. Der neue Italiener.

Ich musste meinem Freund ausnahmsweise zustimmen, fast jedenfalls: Er war nämlich der Meinung, dass Mario aus Ankara stammt, wobei ich aufgrund des Akzents eher auf Damaskus getippt hätte. Was eigentlich auch egal ist in einer Gegend, in der Döner tendenziell von Vietnamesen gereicht wird und eigentlich alle Menschen, die nicht mit einem im Sandkasten gespielt haben, unter der Rubrik „die Ausländer“ zusammengefasst werden. Sicher war nur, dass es sich bei den „Scaloppa Mario“ um Minutenschnitzel vom benachbarten Lidl handelte. Überbacken mit einer dicken Scheibe Mozarella, übergossen mit roter Soße. Und als Sättigungsbeilage: frittierte (!) Bratkartoffeln! Es sah aus und schmeckte ungefähr so, wie sich ein Student aus Schleswig-Holstein, der erstmals von zu Hause ausgezogen ist und in Potsdam gelandet ist, italienisches Essen vorstellt. Okay irgendwie, aber auch nicht so ganz standfest.

So wie die weißen Plastikstühle, auf denen wir als einzige Gäste Platz genommen hatten. Draußen vor der Tür. An der Hauptstraße. Eingequetscht zwischen zwei parkende Autos. Allein. Mutterseelenallein. Eigentlich beängstigend allein. Eine unheimliche Stille herrschte, kein Auto fuhr vorbei. Nur aus der Gaststätte klang ein leises Wimmern. Amy Winehouse versuchte aus dem Radio heraus Kontakt mit uns aufzunehmen, hörte sich dabei allerdings aufgrund mangelnder Watt-Stärke an, als hätte man ihr ein Kissen aufs Gesicht gedrückt. Als ob sie nicht schon geschunden genug wäre! „Sag mal, findest du das jetzt hier nicht langsam auch ein wenig übertrieben mit der menschenleeren Idylle Brandenburgs?“, fragte ich meinen Freund. Er schwieg, großer, stiller Mann und so. Ein Dornenbusch wehte vorbei. Ein Reh spazierte über den Marktplatz. Nein, es war nichts los an diesem Sonntagabend, wenn überhaupt, dann waren wir die Einzigen, die passiert sind.

Auf dem Heimweg war mein Freund völlig verstört. Er hatte seinen geliebten Wohnort zuvor noch nie aus der Perspektive eines Parkplatzes betrachtet und hatte plötzlich Angst, dass er seine (und unsere, bitte schön!) Zukunft womöglich in einer von allen Menschen verlassenen Geisterstadt angelegt hatte. „Nun steck mal nicht gleich den Kopf in den märkischen Sand – morgen kommen ja vielleicht wieder welche“, versuchte ich ihn aufzumuntern, „außerdem war Mario doch nett!“.

Erst zu Hause vor der Glotze streifte uns dann die Erkenntnis: EM-Endspiel verpasst. Und eines ist nun ganz sicher: Mario ist auf keinen Fall Spanier.

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