10.12.2008
MARTIN REICHERT über LANDMÄNNER
Konsum für den Weltfrieden
Auf in die Wirtschaft, der Wirtschaft wegen: mit Würzfleisch an Scheiblettenkäse gegen die Krise
„Sag mal, wie ist denn das jetzt mit den Konsumgutscheinen, hast du schon einen bekommen?“, fragte mich mein Freund neulich beim Nachmittagskaffee. Es war schon so gegen fünf und draußen in der Natur hatte bereits jemand vorzeitig das Licht ausgeknipst, wie in dieser Jahreszeit leider üblich. „Na, wenn ich schon einen hätte, dann hättest du doch wohl auch schon einen, oder etwa nicht?“, fragt ich zurück. „Na ja, hätte ja sein können, dass du als Wessi …“ Na von wegen: „Also, bei mir liegt gerade eine Mahnung vom Finanzamt, und die wollen Geld, anstatt mir welches zum Verjuxen zu geben“, antwortete ich erbost, und „wenn es diese Gutscheine gäbe, würde DEINE Kanzlerin schon dafür sorgen, dass du ihn als Erster bekommst.“
Nun war es jedoch unser gemeinsamer Bundespräsident, Westdeutscher, der sich im Rahmen einer Reise durch das Land Brandenburg freundlich gegenüber Ostdeutschen geäußert hatte – und dabei auch noch klimaschonend vorging, denn weit hatte er es ja nicht vom Schloss Bellevue aus, das man in Brandenburg übrigens „Bällewüeh“ ausspricht. Horst Köhler hat gerade die Brandenburger ob ihres Engagements für den Aufbau ihrer Region gelobt. Es sei die Leistung der Bürger, dass die Arbeitslosenquote wieder stark gesunken sei, hat er gesagt.
Allerdings, denn auch wir beide hatten an diesem Abend das Unsrige getan, um den Arbeitsplatz von zwei Köchen und einer Auszubildenden im Bereich Gastronomie zu retten. Wir fuhren in die Kreisstadt, um in der dortigen „Speisegaststätte“ zu Abend zu essen. Ganz ohne Gutschein.
Die Menschen aus der brandenburgischen Wirtschaft haben sich richtig gefreut, als wir kamen, denn schließlich waren wir zusammen mit einem Ehepaar, das sowohl vom Klangbild als auch von der Optik her zwingend aus Düsseldorf stammte, die einzigen Gäste an dieser Stätte.
Als die Düsseldorfer dann auch noch gingen („Wir fahren ja viel mit Tempomat“), waren wir ganz allein mit unserem „Würzfleisch“, wobei es sich um „Raggu Fäng“, überbacken mit Scheiblettenkäse handelt. Allein in unserem ostdeutschen Traditionslokal, in dem es vor Ankunft der Düsseldorfer, Hamburger und Bielefelder – also vor 1989 – immer brechend voll war, wie mein Freund erzählte, „Sie werden platziert“.
Heutzutage hat man nun wirklich freie Tischwahl, und damit wir uns nicht so auf der Stuhlkante fühlten, illuminierte der Azubi sogar die Möbelhaus-Kronleuchter im großen Raum nebenan. Während des Hauptgangs, Grünkohl mit Knacker, standen wir unter ständiger Beobachtung. Der Jungkoch und seine Assistentin spähten immer wieder durch die winzige Küchenklappe auf unsere Teller und unsere Gesichter, einmal winkte der Koch sogar. Ich glaube, sie wollten sich sowohl von der Sinnhaftigkeit ihres Tuns überzeugen als auch Gewissheit und Hoffnung ob der Zukunft ihrer Arbeitsplätze erlangen.
Von unserer Seite aus waren die Signale jedenfalls positiv. Die überdimensionierten, laut brandenburgischem Verbraucherschutzministerium garantiert nicht von irischem Dioxin verseuchten Würste mundeten, auch wenn man sich ob der Stille arg bemühen musste, nicht zu schmatzen oder zu sehr mit dem Besteck zu klappern.
Als wir dieses Schauspiel nun beendet hatten, zahlten wir lächerliche neunzehn Euro für zwei Essen mit Vorspeise und Getränken – und fragten nach, ob wir in Zukunft vielleicht auch mit bundesrepublikanischen Konsumgutscheinen zahlen könnten. Und, dass wir in diesem Fall beim nächsten Mal in Erwägung zögen, auch noch ein Dessert zu wählen. Geht nicht, sagte die brandenburgische Wirtschaft.
Also, wenn wir beim nächsten Mal nach Berlin fahren, vielleicht aus Anlass des Weihnachtskonsums, schauen wir mal in „Bällewüeh“ vorbei und fragen nach einem Bundesverdienstkreuz. Und dann gleich weiter zum Kanzleramt, wegen der Gutscheine. Ich meine: Wir tun ja nun wirklich, was wir können, um unsere Wirtschaft zu retten. Aber es reicht nie.