6.1.2009
MARTIN REICHERT ÜBER LANDMÄNNER
Flora, Fauna, Fest
Menschen, Tiere und Pflanzen im weihnachtlichen Lichterglanz vereint – schöner wird’s nicht
Erst wenn der letzte Böller zerballert, die letzte Flasche Sekt geleert und die letzte Gans aufgegessen ist, werdet ihr merken, dass Festtage nicht ewig dauern. Diese Weisheit bekam als Erstes jene Spitzmaus reingedrückt, die sich über die Feiertage in unserem Wohnzimmer eingenistet hatte. Mein Freund erwischte sie während eines Neujahrsgelages in der Keksschale, packte sie an ihrem verlängerten Rückgrat und beförderte sie freundlich, aber bestimmt vor die Tür. So gerne man Gäste hat, irgendwann ist man auch froh, wenn man mal wieder seine Ruhe hat.
Bei aller Freundschaft! Denn: Weihnachten & Co standen bei uns nicht unter dem Stern der Familie, sondern unter dem Milchstraßenglanz des Freundeskreises. Wir hatten sozusagen Tag der offenen Tür – und der Christbaum war festlich geschmückt nicht etwa für leuchtende kleine Kinderaugen, sondern zur gezielten optischen Anregung der alkoholisch schimmernden Netzhäute Halberwachsener. Die „dicke Berta“, eine brandenburgische Nordmännin mit etwas zu opulent geratener Hüftregion, war mit Lametta behangen wie Josephine Baker in ihren besten Tagen. Gott sei Dank, denn beinahe wäre sie an die Elefanten des Berliner Zoos verfüttert worden, weil mein Freund mit dem für den Verkauf zuständigen Revierförster aneinandergeraten war, des Preises wegen. Vom Revierförster stammt auch die Geschichte mit den Elefanten – ich habe aber dann einfach stillschweigend bezahlt, sodass die Dickhäuter leer ausgingen.
Die brandenburgische Fauna hingegen landete nach und nach in unserem Backofen, der Freunde wegen. Wildschweine, Kaninchen und Gänse aus heimischem Anbau wurden mariniert, gefüllt und gespickt, gebraten, gesotten und gedünstet, dass es eine Freude war und ein Alb für Vegetarier. Verschont wurden nur die Katzen und der Singvögel frierender Schar, die sich vor den Fenstern an den vom Einkaufzentrum mitgebrachten Körnergeschenken erfreute.
Die Beglückung der Tierwelt war insofern durchwachsen, doch auch die Menschen kamen zunächst nur zur Hälfte an. Ein Teil hatte sich schon kurz nach der Abfahrt in Berlin verabschiedet, um sich am Alexanderplatz zu erbrechen – in Erinnerung an das Festtagsgelage vom Vorabend und in böser Ahnung vor dem Kommenden.
Doch die Durchgekommenen erfreuten sich der dicken Bertas Reizung der Netzhäute, befeuchteten selbige rege mit Rotkäppchen-Sekt und genossen die gegarte Fauna mit Freude. Denn mit dicken Bäuchen und einem warmen Ofen im Rücken lässt es sich entspannter über die Wirtschaftskrise debattieren.
So ging es insgesamt drei Tage lang. Kochen, essen, trinken, Ofen beheizen, Baum illuminieren. So ähnlich müssen sich jene Nachkriegsmütter fühlen, denen es mangels Assistenz neuer Väter stets alleine obliegt, das heimatliche Nest auf Hochglanz zu polieren und mit Weihnachtskugeln zu dekorieren. Ganz alleine verantwortlich für Choreografie, Dramaturgie und Produktion einer dreitägigen Orgie. Ein Hammerjob, den man eigentlich nur betrunken durchstehen kann. Ich muss nächstes Jahr an Weihnachten unbedingt mal meine Mutter fragen, wie sie das all die Jahre ausgehalten hat – wenn wir bei ihr am Tisch sitzen und uns das Essen auf den Teller häufen lassen. Mit Blick auf den schönen Weihnachtsbaum, mit dessen Erwerb und Beschmückung ich nichts zu tun hatte, weil dafür ja wohl irgendwie das Christkind zuständig ist.
Ich kann mich auch entsprechend nicht mehr so richtig erinnern, wie der letzte Tag der Festtagsorgie endete, weil irgendwann ein Rotwein aus Baden ins Spiel gekommen war, der mich auf die Bretter gehauen hat. Alles, was ich weiß, ist, dass die Spitzmaus, die mein Freund eben noch zur Tür begleitet hatte, schon nach einem Tag wieder aus dem Skiurlaub zurück war. Sie hat es sich unter einem Türschweller gemütlich gemacht. Sie ist eben einfach gerne bei uns. Und das war auch das schönste Weihnachtsgeschenk: Freunden eine Freude zu machen, sie zu Gast zu haben. Weihnachten in der Familie.