Kolumne 44

22.1.2009

MARTIN REICHERT ÜBER LANDMÄNNER

Andere nennen es Arbeit

Wenn die werktätige Masse zu zweit werkelt: Voller Einsatz im Vorgarten

„Um Gottes willen: Günter Grass hadert immer noch mit der deutschen Einheit“, sagte ich zu meinem Freund. „Aha“, sagte er nur. „Du, und der Thierse sagt, dass ihr Ostdeutschen mal bitte schön stolz sein sollt auf die friedliche Revolution.“ Wieder nur „Aha“ – und statt einer Antwort kam lediglich die freundliche Ansage: „Steh doch mal bitte auf und schau vor die Tür.“

Habe ich dann auch gemacht, allerdings war draußen nichts zu sehen, wenn man von dem riesigen Haufen Kleinholz absieht, der sich vor mir auftürmte: „Du, komm mal gucken, ich glaube, vor der Tür ist ein Baum explodiert oder so was!“, rief ich in den Flur. „So, wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben“, hallte es zurück, „das hat Erich Honecker immer gesagt.“

Aus die Maus. Keine Diskussionen, stundenlangen Gespräche, Metaebenen und Subtexte. Stattdessen wurde ich dazu verdonnert, beim Holzstapeln – oder nennt man das Aufschichten? – zu helfen. Mein Freund nennt so etwas dann eine „Gelegenheit, sich einzubringen“. Diese Sprache, das sind dann so Momente, in denen ich mit der Wiedervereinigung hadere.

Wenn man die ganze Woche in der Großstadt war, um seine Neurosen zu pflegen, kommt einem die Vorstellung, Holz in freier Natur zu stapeln, erst mal absurd vor. Doch als ich langsam ins Schwitzen geriet vom vielen Zusammenklauben und Hin- und Herschleppen, konnte ich das Geschehen wieder fassen: „Sag mal, wieso muss ich hier eigentlich den unqualifizierten Hiwi-Part übernehmen, während Monsieur schön im Stehen stapelt?“ Die Antwort war ja klar: „Weil der Stapel zusammenbricht, wenn du das machst.“ Ich gab zu bedenken, dass ein solches Gespräch im wahrsten Sinne des Wortes nicht auf Augenhöhe stattfände, ich mich in meiner Komepetenz herabgewürdigt, motivationstechnisch abgewürgt und zudem einseitig ausgebeutet sähe und eine Supervision für dringend nötig befände, und zwar möglichst sofort. Denn schließlich gehe es bei der Arbeit ja auch um Selbstverwirklichung und Anerkennung – wenn nicht gar möglichst ausschließlich.

Er antwortete nicht und stapelte stumm weiter, während ich mich in einer aussichtslosen fordistischen Zwangssituation befand. Vom Arbeitsschutz mal ganz abgesehen. Keine Handschuhe. Splittergefahr! Aus Verzweiflung fing ich sogar an zu singen, womöglich instinktiv, genetisch abgespeicherte Bewältigungsstrategien der bäuerlichen Ahnen, auch wenn die das Lied „Lebt denn der alte Holzmichel noch“ nicht kannten, das hat uns ja erst die Wiedervereinigung gebracht.

Währenddessen paradierten vorbei: „Eier-Oma“ aus Schlesien, Bäuerin Grundmann mit Rollator, ein Teenager mit Pferd. Freie Menschen in einem freien Land, die sich verlustierten, flanierten und sich voll und ganz ihren hedonistischen Bedürfnissen hingaben, während ich in Fron erstarrte: „Es ist alles so sinnlos. Immer die gleichen Bewegungen, und dieser Berg von Holz wird einfach nicht kleiner. Ich bin völlig perspektivlos. Zudem völlig überqualifiziert, theoretisch zumindest, also auch unterfordert. Das ist ja hier schlimmer, als in die Fänge der Bundesagentur für Arbeit zu geraten“, klagte ich an und fand wieder kein Gehör. Wende? Eher Gulag. Isoliertes Element der werktätigen Massen. „Man hatte uns andere Dinge versprochen. Wir waren voller Hoffnungen und Träume von einem gelungenen Leben, in dem Arbeit und Beruf Hand in Hand gehen.“ Ich flüsterte nur noch, entkräftet, erschöpft, geschunden.

Doch irgendwann war der Haufen verschwunden, auf so wundersame Weise, wie er gekommen war. Alles aufgeklaubt und gestapelt. Mein Freund klopfte mir anerkennend auf die Schulter: „Ja, Mensch, du siehst richtig frisch aus, alles schön durchblutet, Kreislauf aktiviert, alle Muskelgruppen zum Einsatz gebracht – und endlich entspannt statt überspannt. Das Rezept für eine Stunde Ergo-Therapie kannst du mir nächste Woche nachreichen.“

So was nennt man, glaube ich, Entfremdung in der Postmoderne.

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