Kolumne 73

16.5.2011

Martin Reichert über Landmänner

Vier Heten auf einen Streich

Nachbarschaftliche Solidaritätät in Ackerbürgerstadt und Brandts Ostpolitik

Manchmal braucht man einfach einen Kerl. Und manchmal sind vier sogar besser. Die beiden Wirtinnen aus unserer Stammkneipe in Ackerbürgerstadt hatten sie uns zugeführt. Und nun betrat einer nach dem anderen nach lautem Klopfen unser Haus, gab artig und knochenkrachend die Hand. Ein Untersetzter mit braunen Knopfaugen. Ein Hüne so breit wie ein Wäscheschrank und hoch wie ein solcher. Ein Mittelalter mit Pranken wie Knut und ein Hübscher mit Augen so blau wie das Eismeer.

Nun standen Sie in der Küche und schauten uns an, wollten wissen, was nun zu tun sei? „Wir brauchen ein Seil und zwei Balken“ sagte mein Mann. Und die Männer nickten. Mein Mann ging voran, und die Männer folgten. Und ich fragte unsere Nachbarin, was ich denn nun machen solle? „Am besten nicht im Weg rumstehen, Bier kalt stellen“, sagte sie lebensklug. Und mir ward ein wenig bang.

Es ging um Rut Brandts Klavier, das in den ersten Stock sollte. Ein kleiner Schimmel aus den Fünfzigern, der lange auf einen Käufer in einem Klaviergeschäft gewartet hatte. Filigran und ein bisschen verloren stand er nun da – unsere Männer blickten ratlos drein ob seiner Geschichte. Rut Brandts Klavier? Mit Margot Honeckers Nähmaschine hätten sie mehr anfangen können.

Sie wäre auch leichter gewesen. Unsere Männer huben nun an, das Klavier zu wuchten. Mit Gurten um die Hüften, Geächze und Gestöhn. Und mit viel gutem Willen. Als sie mit der Gerätschaft durch die Tür kamen, blieben der Untersetzte und der Beprankte stecken – „Mensch, so haben wir ja noch nie gekuschelt“ – sagte der Beprankte zum Untersetzten. Und ich wusste nicht, wo ich hingucken sollte.

Der Hüne ging als Erster die Treppe hoch und trug die größte Last. Er zog und zerrte, der Beprankte, der Untersetzte und der Hübsche drückten und schoben. Der Hüne wurde ganz rot im Gesicht, und ich traute mich nicht zu schieben, des Hübschen wegen und des Kuschelns in der Enge des Treppenhauses. Stand im Weg rum und störte. Dachte an das Bier, das noch nicht kalt war.

Dachte an Rut Brandts Depressionen, dachte an den Westen und das Früher. Dachte daran, wie fremd ich mich oft unter solchen Männern wie diesen gefühlt hatte und wie außenstehend als Westler im Osten.

Und dann, endlich, stand Rut Brandts Klavier mit einem Rumms im ersten Stock. Ohne einen Kratzer. Die Männer keuchten erleichtert. Nun endlich war Wochenende. „Feuerwehr“, sagte der Hüne und trank einen Schluck lauwarmes Bier. „Landschaftsbau“, sagte der Hübsche und rauchte. Der Beprankte und der Untersetzte sagten „Hartz IV“. Am Abend würde es ein Live-Konzert im Scheunenviertel geben, freute sich der Beprankte, und ordentlich Biere. Der Hübsche zeigte sein Handgelenk her, „Arthrose, dabei bin ich erst 25.“

Wir verabschiedeten uns alle knochenkrachend per Handschlag, als das Bier alle war und die Sonne den Mittagsstand erreicht hatte.

Am Abend saß ich dann im Sessel und mein Mann spielte zum ersten Mal auf Rut Brandts Klavier. Dachte an das Früher und den Westen. Freute mich über das Neue und den Osten. Der Einzige, der sich verkrampfte Gedanken darüber gemacht hatte, dass vier Handwerker-Heten aus Brandenburg zwei Schwulen ein Klavier schleppen, war ich gewesen. Mehr Demokratie wagen.

 

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