Kolumne 24

5.7.2007

MARTIN REICHERT über LANDMÄNNER

Bratwurst im Bärlauch-Style

Laut UNO wohnen immer mehr Menschen in Großstädten. Leider bleiben sie nicht, wo sie sind

Unsere kleine Ackerbürgerstadt wird jetzt richtig mondän. Am See wurde ein neues Wellness-Chichi-Hotel eröffnet. Neulich war Einweihung, sodass mein Freund und ich uns entschieden, für diesen einen Abend unsere Wirtinnen aus den Altstadt-Stuben zu betrügen: Wenigstens einmal chic urban ausgehen!

Mein Freund musste raus aus seiner Handwerkerkluft und rein in die Wurstpelle, nicht dass man sich am Ende noch hätte schämen müssen. Gerüchteweise haben die neuen Besitzer was mit Film und Fernsehen zu tun. So ähnlich war dann auch die Gästeliste. Lauter verwirrte Berlin-Mitte-Opfer mit Röhrenjeans und Neo-Mod-Bob stolperten verzweifelt an der Uferböschung entlang, bis sie endlich wieder vertrautes Terrain unter den goldenen Puma-Sneakers hatten: die Lounge-Zone mit weißem Mobiliar: „Entschuldigung, wo ist denn hier der VIP-Bereich?!“

Mein Freund war denn auch völlig fertig mit den Nerven. An der DDR-Beton-Seebrücke, wo er dereinst zum Schulschwimmen hinmusste, liegt jetzt eine Jacht vertäut, „die dereinst von Hildegard Knef für Wochenendausflüge genutzt wurde“. Das Hotel, in dem er als kleiner Junge immer Eintopf für 50 Pfennig gegessen hat, ist nunmehr ein bläulich illuminerter gastrokommerzieller Erlebnisbereich. Er ist einfach zu sensibel für so etwas.

Doch als ich mir dann einen Wodka Lemon bestellte und ein Stirnrunzeln erntete, das verdächtig nach „Hamwa nich“ aussah, begann ich zu ahnen, dass es mit der Hotelverwandlung so ähnlich bestellt sein muss wie mit der Wiedervereinigung: Überall frischer Beton und neue Deko, aber das Personal bleibt.

Um die Speisekarte auf Herz und Nieren zu überprüfen, packten wir als Nächstes den Koch am Schlafittchen, der, statt am Herd zu stehen, auf der Uferterrasse herumvagabundierte – auf erheiternde Weise angeheitert erläuterte er uns das Food-Concept in breitestem Brandenburgisch: „Allet regjonal. Na, und der Füsch, den holn wa direkt vonna Ostsee. Nisch böse sein, wenn dit denn ooch mal 16 Euro kosten. Man muss den ja ooch filetieren und allet!“ Wie jetzt? Wir dachten Pan Asia und Trans California? „Nee. Also. Nee. Ditt nu nich.“

Wenig später stellte sich heraus, dass die Abwesenheit des Kochs von seinen Töpfen an diesem Abend zumindest Teil des Konzepts war. Nichts mehr zu essen, sogar die „Bratwurst im Bärlauch-Style“ – der Snack, der Eingeborene und In-Crowd-Publikum auf einen Nenner hätte bringen können – war alle. Typisch Brandenburg: Um Punkt neun Uhr gehen die Mamsellen nach Hause, und die Küche ist kalt.

Und jetzt? Wir schämten uns ein wenig, weil wir unsere Wirtinnen im Regen hatten stehen lassen, und erwogen sogar, zur kilometerweit entfernten Mc-Donald’s-Filiale an der Autobahn zu fahren. Das wäre die gerechte Strafe dafür gewesen, dass wir uns in diese Eventfalle begeben hatten: wie die Motten auf der Glühbirne.

Am Ende krochen wir reumütig zurück in unsere vertraute Wirtsstube und bestellten „Schnitzel Champignons“ wie immer – das wir auch prompt geliefert bekamen, obwohl die 9-Uhr-Demarkationslinie bereits deutlich überschritten war. Die Wirtsstube war gähnend leer, alle Stammgäste waren am See. Und dann noch die erschütternde Neuigkeit, dass die Tochter des Hauses in der Klinik liegt – sie war im Urlaub auf dem Balkan zusammengeklappt: „Die Ärzte dort haben nur mit dem Kopf geschüttelt. Die verstehen das einfach nicht. Die Leute aus Deutschland kommen dort an und brechen einfach zusammen“, erzählte die Wirtin. Die einzige Ärztin der Ackerbürgerstadt nimmt wegen Überlastung keine Termine mehr an.

In die folgende Stille unseres Abendessens drangen plötzlich seltsam vertraute Geräusche. Die Schwestern hatten ihre einzige CD von Barbra Streisand herausgeholt – die in der Großstadt zeitgleich ihr einziges Konzert in Deutschland gab. Extra für uns?

Unsere Ackerbürgerstadt hat ihren eigenen Glamour. Und die Großstädter, „Schrippen“ genannt, können mit ihren SUVs bleiben, wo der Pfeffer wächst.

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