Kolumne 29

20.2.2008

MARTIN REICHERT über LANDMÄNNER

Unter der Heizdecke mit Bushido

Das Leben ist gar nicht so, es ist ganz anders? Das kann einem ja mal jemand mitteilen, bitte schön

An einem Samstag auf dem Lande den lieben, langen Tag lang gar nichts, aber auch gar nichts getan zu haben kann verdammt anstrengend sein. Der Kreislauf sackt ins Bodenlose und der Rhythmus des Daseins wird allein von den Vibrationen der Katze bestimmt, die zusammengerollt auf den hochgelagerten, müden Beinen vor sich hin schnurrt. Ein sonores Begleitbrummen, das von der stillen Hoffnung getragen ist, später gefüttert zu werden. Eben!

Das Abendessen gibt einem dann später den Rest. Die Energie reicht nur noch, sich die Treppe hinauf ins Bett zu schleppen, um den Klobig-Screen anzuwerfen – und die Heizdecke. Mag auch draußen ein eiskalter Wind aus Moskau über endlose, karge Flächen pfeifen, mag auch Berlin in der Ferne hysterisch-orange vor sich hin glühen: Das Leben ist schön. Kuschelig warm, eingelullt von den Gesprächsvibrationen diverser Talkgäste und ModeratorInnen, deren Hoffnung einzig und allein auf Aufmerksamkeit gerichtet. Das Beste daran: Man kann sie ihnen mit nur einem Knopfdruck entziehen.

Apropos Aufmerksamkeit: Wo ist eigentlich mein Freund? Die Katze ist auch weg, und ich bin hier mutterseelenallein mit Amelie Fried und Giovanni di Lorenzo. Wenn da nicht noch Bushido und Udo Kier nebeneinandersitzen würden. „Ich glaub es ja nicht!“ – frei nach Hape Kerkeling –, schießt es mir plötzlich wie ein Stromstoß durch den Kopf, gleichsam als habe das Heizkissen einen Schaden in der Isolierung. Bushido und Udo Kier?

Na das kann ja was werden: „Komm mal schnell!“, brülle ich ins Fachwerklabyrinth. „Der Kier ist bei ‚Drei nach Neun‘, und daneben sitzt Bushido, ich brech zusammen!“ Kampf der Titanen! Vergaser aus Berlin trifft zickige Schnappschildkröte aus Los Angeles – wem wird da zuerst die Luft ausgehen? Wessen Finger zuerst abgebissen?

Ja, und dann erzählt Bushido, dass er eigentlich davon träumt, in seinem Garten die Hecke zu schneiden und den Rasen zu mähen. Und dass er seine Mutti ganz doll lieb hat. Und den Udo Kier echt voll gut findet. Den gefährlichen Aggro-Rapper mimte stattdessen Udo Kier, indem er die arme Amelie Fried bösartigst disste: Bevor Sie auch nur eine ihrer Fragen vom Kärtchen ablesen konnte, leierte er einfach seinen Text runter – Warhol, Madonna, Los Angeles, Hollywood, reicht das ? –, versehen mit dem Hinweis, nie wieder kommen zu wollen, wenn er nicht als Erster an die Reihe kommt und überhaupt. So kann’s also gehen.

Plötzlich steht mein Freund neben mir und schaut mich ganz merkwürdig an. „Und, ist dir schön warm?“, fragt er. „Na und wie. Stell dir mal vor, der Bushido sitzt neben dem Kier. Das „H“-Wort fällt nicht einmal, und der Bushido hat keine Lust mehr auf Aggro mimen und will ein Haus in Zehlendorf, und der Kier hat hat sich eine alte Schule in Thüringen gekauft und findet, dass Ossis viel netter sind als alle anderen Menschen, außer Bushido, aber der ist doch nun wirklich ein typischer Westberliner. Erst große Klappe und dann Zehlendorf. Ich verstehe das alles nicht! Was ist denn hier los?“

Mein Freund schaut mich nur sanftmütig an, mit diesem typischen brandenburgischen Buddha-Blick. So, als hätte ich sie nicht mehr alle: „Was musst du dich auch immer gleich so hochschrauben? Ist dir schon mal aufgefallen, dass sich manche Ängste nur in deinem Kopf abspielen? Und ist dir auch warm?“

„Das mag ja alles sein“, antwortete ich, „aber gelernt ist nun mal gelernt“, ein Satz, der vielleicht von Ängsten, aber auch von der stillen Hoffnung genährt ist, eines Tages seine Ruhe zu haben, unbelästigt zu sein von kalten Ostwinden der Gehässigkeit und Aggressionen in glühenden Metropolen.

„Ist dir denn auch wirklich schön warm?“, fragt er mich schon wieder mit diesem Blick und ergänzt: „Und bist du dir denn auch sicher, dass deine Wahrnehmungen immer eins zu eins der Wirklichkeit entsprechen?“, fragt er. „Ja, verdammt, mir ist warm! Was soll das denn jetzt bitte?“ Er dirigierte meinen Blick nach links: Der Stecker des Heizkissens war überhaupt nicht in der Steckdose.

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