8.4.2008
MARTIN REICHERT über LANDMÄNNER
Bunte Plastetiere für den Osten!
In Neufünfland gibt es immer von allem zu wenig. Aber manchmal ist weniger einfach mehr
Im Zeit-MagazinLebenwird einmal in der Woche die Lage der Nation skizziert, sowohl geografisch als auch lebensweltlich. Man sieht dort eine Deutschlandkarte inclusive der seit 1989 dazugekommen Beule rechts. Ostdeutschland. Die Beule kommt dabei nie gut weg, statistisch betrachtet: Es gibt dort weniger Outlet-Center, die Bibel verkauft sich wesentlich schlechter und es mangelt an Pilgerwegen, zudem gibt es dort kaum Menschen, die bei „Wer wird Millionär“ gewinnen (die wohnen alle in einem Ort namens Ensdorf in Bayern).
Doch das Schlimmste von allem ist: Es gibt laut dieser Karte nicht ein einziges buntes Plastetier in ostdeutschen Innenstädten – außer in Berlin, wo in dieser Beziehung echt der Bär los ist. Jede verdammte Kleinstadt in Westdeutschland hat Plastetiere, vom Esel bis zum Elefanten. In meiner Geburtsstadt in Rheinland-Pfalz war bereits in den 80er-Jahren alles mit Schweinen zugepflastert, wenn auch nur solchen aus Bronze. Und im Osten? Nur feldgraue Hasen und schwarzbunt Geflecktes in freier Wildbahn. Dafür mehr Nazis, Verkehrsunfälle im Zusammenhang mit Jugend, Alkohol und Bäumen, mehr dumme betrunkene Männer und mehr Filmpreisträger – aber wieder nur wegen Berlin und zählt eigentlich nicht. Es ist zum Heulen.
Was also tun? Als Erstes fiel mein Blick auf eine unserer Katzen, die sich gerade auf meinem geliebten dunkelblauen Mantel auspelzte. Sie hat ein ausgerechnet weißes Fell und ist eigentlich nur noch bei uns, weil sie niemand haben wollte, als einzige aus dem Wurf. Schon als Junges wurde sie aufgrund ihrer farblichen Andersheit von ihren Geschwistern ausgegrenzt und ist seitdem ein bisschen verhaltensauffällig. Warum sie also nicht einfach bunt färben? Pink? Mintgrün? Irgendwo muss man ja anfangen.
Mein Freund indes bereitete dieser City-Marketing-Maßnahme im Projektstatus jedoch ein unbarmherziges Ende: „Du spinnst.“ Diese Nöl-Ossis sind aber auch wirklich unzugänglich manchmal. Es ist doch schließlich auch seine Ackerbürgerstadt, und ich kann auch nichts dafür, dass die Ossis das mit den Plastetieren nicht aus eigener Kraft auf die Beine stellen können: Der dafür zuständige VEB Plaho in Steinach/Thüringen wurde längst abgewickelt.
Wir kamen nicht weiter und gingen stattdessen zu Lidl, was so ähnlich war wie mit der weißen Katze. Es blieb uns nichts anderes übrig, denn Edeka war zu. Ich ging also durch die Regalreihen und machte mir so hier und dort unauffällig Notizen: Eine Tüte „Bellosan“-Hundefutter war bei den Damenbinden eingeordnet und ich meinte deutlich vernommen zu haben, dass eine der Verkäuferinnen in kundenabschreckend grobem Brandenburgisch zu einer Kollegin gesagt hat, dass sie sich schon jetzt, um 19.45 Uhr, auf den Feierabend freut – aber ich will es nicht beschwören.
Doch dann, nur ein paar Schritte weiter an den „Dinge, die die Welt nicht braucht“-Regalen, kam die Erleuchtung: Gleich neben den von brandenburgischen Jungmännern umlagerten Köchern für 14,95 Euro lag er: ein grasgrüner, wasserspeiender Frosch aus Plaste. Für den Garten! Ich lief damit sofort zu meinem Freund, der in der Obst- und Gemüseabteilung frustriert an einzelnen unreifen Früchtchen herumdrückte. Nur um mir schon wieder eine Abfuhr zu holen: „Das kommt überhaupt nicht in Frage!“
Mir will nun fast scheinen, dass es in Ostdeutschland allein deshalb keine bunten Plastetiere in Fußgängerzonen gibt, weil die Ossis solchen Plunder nicht haben wollen. Sie wollen schon lange nicht mehr in der Bibel lesen und schon gar nicht auf Pilgerwegen herumkrauchen. Outlets für markenfetischistische Geizkragen gehen ihnen womöglich am Allerwertesten vorbei, und den theoretischen Überbau von „Wer wird Millionär“ kennen sie schon aus dem Staatsbürgerkundeunterricht.
Zuhause habe ich dann das Zeit-Magazindazu benutzt, um die nassen Schuhe vom Nachmittagsspaziergang zu trocknen. Der Politikteil ist geeigneter. Das Papier saugt mehr auf.