23.7.2008
MARTIN REICHERT über LANDMÄNNER
Die Callas in der Scheune
Brandenburg-Kompatibilität muss kein Problem sein: Alles nur eine Frage der inneren Haltung
Die Liebe meines Lebens ist großartig, aber nicht immer ganz alltagskompatibel. So wie neulich, als wir am Nachmittag zu einem klassischen Konzert im Brandenburgischen eingeladen waren.
Ich kam auf den letzten Drücker aus Berlin und musste meinen Freund mit laufendem Motor und also flüssige Juwelen verdampfend seiner Baustelle entreißen. So sah er dann auch aus, als er endlich neben mir saß, damit wir uns gemeinsam auf der Landstraße verfahren konnten. „Sag mal, wieso hast du eigentlich ein FDJ-Hemd an?“, fragte er mich misstrauisch, als wir die Ackerbürgerstadtgrenze hinter uns gelassen hatten. „Das ist kein FDJ-Hemd, sondern farblich, bitte schön, der letzte Schrei. Außerdem sind wir zu einem Konzert eingeladen und du trägst Flipflops!“ Schweigen. Das mit dem Konzert hatte er mal wieder nicht mitbekommen.
Wir fuhren also vorbei an ostelbisch dimensionierten Golfanlagen, wurden von chromblitzenden Schrankwänden, SUVs, überholt und kamen – nachdem wir dank Navigation meines Mannes schon fast an der Ostsee waren – irgendwann an eine historische Schlaglochpiste, die uns zum Tempel der Kunst führen sollte. Es handelte sich, wie üblich in Brandenburg, um eine Scheune. Das ist so ähnlich wie mit den großstädtischen Kunst-Events in alten Fabrikhallen: Gearbeitet wird hier sowieso nicht mehr, kann man sich auch einfach amüsieren. Und wie! Meinen Freund haute es fast aus seinen Gummi-Pantinen, als die zarte Dame auf der Bühne anhob, um „La Traviata“ raumgreifend und stimmgewaltig unter der offenen Fachwerkdachkonstruktion zu deponieren.
Das Publikum hatte sich chic gemacht und war ergriffen – regelrecht dankbar brandete der Applaus, während man in Berlin schon mal damit rechnen muss, dass bei Nichtgefallen eine leere Flasche Schultheiss auf die Bühne fliegt, symbolisch jedenfalls. Und mein Freund schämte sich noch immer ein wenig für seine despektierliche Kleidung: „Nur weil wir hier in einer Scheune sind, muss ich ja nicht unbedingt so rumlaufen“, klagte er, während ich mich wunderte, dass mir die Leute ständig auf den rechten Arm schauten. „Ha, die gucken bloß, wo das gelbe FDJ-Sonnenemblem abgeblieben ist“, freute er sich. „Na, pass du bloß auf, Freund. Wenn wir zu Hause sind, setzt es mindestens zwei Stunden Kritik und Selbstkritik!“, drohte ich zurück.
Wir entschieden uns nach Rückkehr in die Ackerbürgerstadt stattdessen für Bekömmlicheres, „Schnitzel Champignons“ bei unseren Wirtinnen. Und als dann um zehn die Tür abgeschlossen und die Aschenbecher auf den Tisch gestellt wurden, saßen wir alle zusammen – inklusive Koch und Servierdame – am runden „Stammtisch“ und erzählten. Was für Geschichten: Damals, als man den blutjungen Rotarmisten auf seinem Posten mit Wodka abgefüllt und ihm einige dreiste Burschen die Kalaschnikow abgenommen hatten. Da war aber was los. Er hatte gezittert vor Kälte und geweint vor Angst, „Sibir! Sibir!“. Da hatten sie ihm rasch Leberwurststullen gemacht und ihn mit Kaffee ernüchtert. Das Gewehr wurde mit vereinten Kräften wieder ausfindig gemacht, und als der junge Mann von seiner Truppe wieder eingesammelt wurde, war er halbwegs nüchtern und im Besitz einer unversehrten Waffe. „Die Russen, das waren doch schließlich auch nur Menschen. Ach Gott, hatten wir damals einen Spaß. Auf den Tischen wurde hier damals getanzt, so war das. Und heute? Da wollen alle plötzlich ganz vornehm sein“, erzählte die Wirtin bei einem Glas Rotwein.
Wir rauchten noch mit dem Koch die ein oder andere Zigarette, der (einzige) Mann vom ackerbürgischen Ordnungsamt war längst zu Bett gegangen und träumte von flächendeckender Parkraumbewirtschaftung. Auch der Brandmeister von der örtlichen Feuerwehr hatte sich schon vor Stunden mit einem Klopfen auf den Tisch verabschiedet. Dann gingen auch der FDJ-Sekretär mit dem blauen Hemd und der Mann mit den Plaste-Tretern nach Hause.
Ganz kompatibel, sowohl miteinander als auch mit dem Brandenburger Alltag.