5.8.2008
MARTIN REICHERT über LANDMÄNNER
Wo die Neurosen brüllend blühen
Warum nicht mal einen kurzen Urlaub in der Großstadt machen – wenn da bloß nicht so viel Natur wäre!
Wenn im Moment schon alle Urlaub machen – der Deutschen liebstes Urlaubsziel in Zeiten angedrohter Rezession ist ja die mannigfaltige deutsche Provinz, obwohl die viel teurer ist als Antalya – dann können wir ja mal ein wenig Urlaub in der Großstadt machen. Dachte sich zumindest mein Freund, der Berlin auch mal wieder in anderem Lichte als dem des grauen Alltags sehen wollte.
Er machte sich also fein für den Asphaltdschungel und drängelte zur Abfahrt: Mr. Deeds fährt in die Stadt! Das ganze Programm sollte es sein. Flanieren, Shoppen, Essen gehen, „Nachtleben“. Au weia, das nun auch noch. Wehmütig winkte ich dem Storch auf dem Schornstein, als wir die idyllische kleine Ackerbürgerstadt in Richtung Moloch verließen – wo ich doch gerade herkam. Aus einer Stadt, in der die Mauersegler und Tauben regieren und ihren zahlreichen, in Käfigen eingesperrten Artgenossen von der Sittichfront den Schnabel lang machen.
Die Tauben scheißen da einfach alles voll und leisten somit einen wertvollen Beitrag: Sie beugen der Entfremdung des großstädtischen Menschen von der Natur vor, indem sie ihn an selbige erinnern. Solche Gespräche muss man dann führen, damit mein Freund nicht schon an der Stadtgrenze Herzrasen bekommt – ich kenne ja meine Pappenheimer. Erst in die Stadt wollen und dann wieder an allem rumnörgeln.
Ich ahne immer schon die missbilligenden Blicke, wenn man nur in die Nähe eines jener liebevoll umzäunten Baumgefängnisse kommt, die manchen Straßenrand säumen: „Nun lass sie doch, sie wollen eben auch, dass es mal ein bisschen schön ist, anstatt immer nur auf Hundekot zu starren“, versuche ich ihn zu beruhigen. „Außerdem ist das doch lustig: Da wachsen jetzt Blümchen, und Gartenzwerge gibt es auch!“
Als wir dann endlich einen Platz zum Essen gefunden hatten, der sowohl die Anforderungen eines ordnungsgemäßen Straßenkinos als auch den Erholungsfaktor einer urbanen Parklandschaft mit Wasseranbindung bot – was nun auch nicht leicht zu finden war –, sollte endlich der gemütlich-städtische Teil des Abends beginnen. Wie man das eben so macht: Erst mal eine Unterlage bilden für die alkoholischen Getränke, die da womöglich noch auf einen zukommen.
Als dann der Salat serviert wurde und mein Freund die ersten Bissen zu sich genommen hatte, war allerdings recht bald Schluss mit lustig: „Das ist Unkraut!“, sagte er mit großen, zunächst nur staunenden Augen „das ist genau das Unkraut, das an jedem Dorfbahnhof, an jedem Mülleimer und auf jedem Schutthaufen wächst. Und dafür soll ich fünfzehn Euro zahlen? Jetzt reicht’s aber!“
Ich versuchte ihn noch zu trösten, schließlich ist „Rauke“ ja nur ein Oberbegriff und streng genommen gehört Rucola ja auch zu den Rauke-Gewächsen und dass dies doch auch egal sei und Natur eben Natur … Schluss, aus.
Er wollte zurück, und bevor ich ihn dann wie einen Kampfhund an der Würgeleine von Lokalität zu Lokalität schleife, wo es dann auch keine authentische Natur außer brüllend blühenden Neurosen gibt, haben wir es mit diesem City-Kurztrip belassen. Andere nehmen für so was gleich einen Billigflieger. In der Ackerbürgerstadt angekommen, genossen wir dann das dortige Nachtleben: Wir betrachteten den Sternenhimmel durch einen ganz soften, pflanzlichen Schimmer aus eigenem Anbau.
Schön war das. Und als ich dann am Montag meine Sachen in den Kofferraum packen wollte, um mich den heiteren Beschwinglichkeiten des Arbeitslebens in der Stadt zu widmen, war kein Platz mehr darin. Alles voller grüner Pflanzen, in kleine Bündel zurechtgeschnitten und gebunden.
„Sag mal, Meister: Was soll das denn bitte sein?“, fragte ich den zum Abschied winkbereiten Naturfreund. „Ganz einfach. Die Waschmaschine ist kaputt und wir brauchen eine neue. Die Rauke ist vom Schuttberg und du verkaufst sie jetzt bitte in der Stadt. Für mindestens zehn Euro das Bündel.“