Kolumne 52

28.8.2009

MARTIN REICHERT ÜBER LANDMÄNNER

Jenseits der Friedensgrenze lockt das Obst

POLEN IST GEÖFFNET: ZU BESUCH BEI MIREK, AGATHA UND DER GANZEN GROSSFAMILIE

In Bälde nähert sich der Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen. Mein Mann und ich sind allerdings vor kurzem nur rübergefahren, um Freunde – Mirek und Agatha – zu besuchen.

Schon kurz hinter der Grenze war deutlich zu erkennen, was die Deutschen von den Polen wollen. Ihr Begehr richtet sich nicht auf Territoriales, sondern auf preiswerten Sprit, Zigaretten, Frisuren, schön manikürte Hände, Blumenampeln und käufliche Liebe – so und in dieser Reihenfolge spiegeln es zumindest die Geschäfte an den Grenzorten gleich hinter der Oder, also jenseits der „Friedensgrenze“, wie man die Grenze zu Polen in der DDR nannte, meist ohne selbige jemals übertreten zu können oder zu wollen.

Auf der holperigen Landstraße versuchte ich sogleich das nationalkatholische „Radio Maria“ zu empfangen, um nicht eventuelle Hassbotschaften zu verpassen, die sich explizit an sexuelle Minderheiten richten. Mangels Empfang und Polnischkenntnissen ließ ich es dann doch bleiben und schob die derzeit obligatorische „Gossip“-CD in den Ansaugschlitz.

Als wir durch die ersten Dörfer fuhren, wurde mein Mann sogleich ostalgisch: „Guck mal, genau so hat die DDR ausgesehen.“ Ich murmelte nur was von Stoßdämpfern und fehlendem Randstreifen, Solidarbeitrag und Bananen.

Das Dorf, in dem Mirek und Agatha wohnen, könnte jedenfalls auch als Kulisse für eine Degeto-Produktion mit Maria Furtwängler als ostpreußischer Landarbeiterin mit höheren Bildungsoptionen und ungewollter Schwangerschaft dienen: Unverputzte Steinmauern, oberirdisch verlaufende Telefonleitungen, malerisch freilaufendes Geflügel, Großmütter mit gebeugtem Rücken und Kopftuch.

Wir staunten, aber die Polen staunten auch nicht schlecht, nämlich über uns. Auch als wir endlich bei Mirek und Agatha in der Küche saßen und mit einem halben Schwein bewirtet wurden, ging das Staunen weiter, beiderseits: Durch eine Zwischentür kam nach und nach die Großfamilie, um mal zu gucken, wie die Deutschen gucken.

Sprechen ist ja auch schwierig, wobei mein Mann und Mirek eine Art Euroesperanto entwickelt haben und sich blind verstehen, weshalb es wiederum mir möglich war, die englischen Aufschriften von geschätzten 123 „Body-Shop“-Produkten, die eine in England bei ebendieser Firma arbeitende Dorfbewohnerin mitgebracht hatte, für unsere Gastgeber zu übersetzen. Ich weiß nicht, wie mein Mann es geschafft hat, „Tea Tree Blackhead Exfoliating Wash“, also Teebaum-Schwarzkopf-Peeling-Waschgel, in Euroesperanto zu übersetzen, aber alle waren glücklich.

Wir sowieso, denn nach dem Kaffee entdeckten wir, dass die Polen uns längst überholt haben ohne einzuholen oder wie das in der DDR hieß: Auf dem Hof der Großfamilie feiert die ökologische Landwirtschaft fröhliche Urständ, allerdings ohne Zertifikat und „Body-Shop“-Öko-Marketing. In Deutschland längst ausgestorbene Obstsorten lockten leuchtend von den Bäumen, Hühner und Enten gackerten ganz besoffen von Freiheit, Licht und Luft. Aus von Pestiziden und Dünger unberührtem Acker gruben wir dicke, fette polnische Kartoffeln und freuten uns wie kleine Kinder in der BioBio-Abteilung von Plus. Nun wuss- ten wir, was wir von Polen wollen.

Und weil in Polen die Tradition, wie man aus den Medien weiß, eine große Rolle spielt, bekamen wir als Eheleute, wie es sich geziemt, das eheliche, in Türkis und Pink gestrichene Schlafzimmer von Mirek und Agatha zur Übernachtung zugewiesen. Polen ist ja so was von offen.

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