21.9.2009
MARTIN REICHERT ÜBER LANDMÄNNER
Ich folge dir bis in die letztePfütze
Wenn der Spätzeitliche Automobilismus im Raum Berlin-Brandenburg an seine Grenzen Stösst, geht es weder vor noch zurück
In regelmäßigen Abständen versenkt mich mein Mann im Schlamm. Es handelt sich dabei allerdings nicht um eine bizarre sexuelle Spielart, sondern um ein scheinbar nicht vermeidbares Übel, wenn man wie wir zwei in regelmäßigen Abständen mit dem Auto auf Brandenburger Abwegen unterwegs sind.
Mein Mann ist als Eingeborener und gelernter DDR-Bürger in Infrastrukturfragen völlig unerschrocken. Gleich ob es sich um halb im Sumpf versunkene LPG-Plattenwege, märkische Sandpisten, friderizianische Kopfsteinpflaster oder historische Knüppeldämme handelt – immer heißt es: „Fahr, das geht schon.“
Und das mit dem schönen Westwagen! Er will einfach nicht einsehen, dass Aufhängung, Stoßdämpfer, Fahrwerk und was es da noch so alles am Automobil gibt (Ölwannen, die abreißen könnten, solche Sachen), bei solchen Expeditionen in Mitleidenschaft gezogen werden können. Und das, obwohl er als junger Mann gezwungen wurde, eine Kfz-Mechaniker-Lehre zu machen: „Das hier ist kein Trabbi!“, sage ich immer streng. Und ins Nichts. Man bräuchte eigentlich einen Geländewagen – wenn es nicht so albern wäre.
Zugegeben: Dieses Mal war er nicht allein schuld. Wir waren zum spätnachmittäglichen Essen ins Nachbardorf geladen, von einem sehr netten älteren Ehepaar. Im Nachbardorf wird allerdings gerade die Straße saniert, was einige der älteren Anwohner noch ganz schön in finanzielle Schwierigkeiten bringen wird, der Anrainerkosten wegen.
Dieses Mal versenkte mich also eine nette ältere Dame im Schlamm. Sie wies mir von der Haustür aus einen „Parkplatz“ zu, eine Schlammkuhle mit integrierter Pfütze, die ich misstrauisch beäugte, aber man kann sich schon denken, was mein Mann dazu sagte: „Fahr, das geht schon.“
Und schon saßen wir im Dreck fest. Es ging nicht mehr vor und nicht mehr zurück. Nur seitwärts, und zwar von ganz allein, der Wagen rutschte in Zeitlupe in Richtung Straßenbaustellenloch. Kennen Sie auch solche Momente, in denen Sie bedauern, weder Vorurteile zu haben noch beratungsresistent zu sein?
Die Beratungslage in dieser ausweglosen Situation war jedenfalls opulent. So setzte vom Haus der Gastgeber aus ein reges Winken und Rufen ein, mein Mann wiederum versuchte es mit Physik: „Wenn du rückwärts fährst und gleichzeitig nach rechts einlenkst, entsteht zu viel Widerstand, das schaffst du nicht“. Er hat nicht mal einen Führerschein.
Außer dem von den Rädern aufgewühlten Schlamm bewegte sich jedenfalls gar nichts, bis ich mir dachte, dass es an der Zeit sei, die Physis zum Einsatz zu bringen – die Muskeln des Herrn Gemahls sind ja nicht nur zu Deko da: „Schieb, das geht schon“, sagte ich.
Was soll ich sagen: Er hat es geschafft, im Schweiße seines Angesichts, „geht doch“.
Der Westwagen sah danach natürlich aus, als hätte ich an der Rallye Paris–Perleberg teilgenommen, was mir jedoch nach meiner Rückkehr nach Berlin einen völlig unerwarteten Punktgewinn an den Ampelanlagen Neuköllns einbrachte. Anerkennende bis neidvolle Blicke von oben, nämlich von den Fahrersitzen jener großstädtischen Geländewagen, die es höchstens bis zum Parkplatz einer Parkanlage schaffen, streiften Automobil und Fahrer, und ich fühlte mich mindestens wie Heidi Hetzer.
Und irgendwie von gestern mit meiner schlammverkrusteten, alten Dampfmaschine aus Westproduktion. Von nun an warten wir auf unseren Trabbi. Mit Elektroantrieb.