Kolumne 60

19.3.2010

MARTIN REICHERT ÜBER LANDMÄNNER

Schwule haben Bälle

HOMOSEXUALITÄT IST KEIN ABENDFÜLLENDES THEMA MEHR, SONDERN ZURZEIT EINES FÜR DEN LIEBEN LANGEN TAG

Ist das eigentlich Homo-feindlich, wenn man als Homo mit Ballsportarten nichts anfangen kann – so wie ich? Tut mir echt leid, ich weiß ja, dass die Nation dringend auf einen schwulen Fußballprofi wartet, weil es ihr gerade langweilig ist und das mit dem Außenminister nun so viel Spaß auch nicht macht. Auf den hatte man aber auch nicht unbedingt gewartet.

Mein Mann kann auch nicht Fußball spielen, dafür baut er zum Beispiel Häuser. Leider interessiert sich jedoch derzeit niemand für Deutschlands „ersten bekennenden schwulen Bauarbeiter“, sonst würde ich ihn ganz groß rausbringen. Exklusive Lebensbeichte im Sternfür 100.000 Euro, mit denen sich danach ein weiteres prima Häuschen hochziehen ließe. Dann Maybritt, Maischberger, Will und vielleicht noch Plasberg, Autobiografie bei Random House, Verhandlungen mit Eichinger wegen der Verfilmung, wenn’s schiefläuft, bloß irgendwas Degetomäßiges. Die Wahrscheinlichkeit, dass er aufgrund seines Bekenntnisses von 30.000 Menschen auf einmal als „schwule Sau“ beschimpft würde, während er einen schweren Balken in den ersten Stock wuchtet, wäre ja eher gering. Vom nächsten Fußballstadion ist der Weg in unser brandenburgisches Dorf auch für hartgesottene Fußballfans zu weit.

Dabei ist das doch echt ein Knaller, wie mein Mann sich so völlig locker und mit allseits geschätzter und geforderter Selbstverständlichkeit – denn die erfordert ja kein anstrengendes Verstehen – in der knallharten Männerwelt des Bauwesens behauptet. Okay, wenn wir beide zusammen, also „Herr R. und Herr M.“, zum Baumarkt fahren, um Zement zu kaufen, ist das nicht ganz so spannend wie eine Lateinamerika-Reise von „Herrn W. Und Herrn M.“, aber da gäbe es ja vielleicht auch was Interessantes zu gucken.

Typisch zum Beispiel, wie Herr. M. in seiner körperbetonten Kleidung den Sack Zement in den Einkaufswagen schwingt. Mit so einem eleganten Dreh und niemals bloß grob wuchtend, genau! Und ja, Herr R., der Lebensgefährte, treibt sich natürlich bei den Orchideen herum, wahrscheinlich AUCH weil dort ein junger Azubi mit ebenfalls eng anliegendem Overall …– ob der wohl schon 18 ist? Es ist eben super, sich selbst in der eigenen Selbstverständlichkeit zu wiegen, aber auf Dauer ist das einfach zu langweilig und man will mal was anderes.

Der Mensch braucht Erregungen und Anregungen, so wie die Bilder, die im Fernsehen oder in Printmedien immer gezeigt werden, wenn es um schwule Fußballer geht – oder um Schiedsrichter. Man sieht dann Herren, die sich – NUR ZUM SPASS – mal gegenseitig auf den Hintern hauen oder rudelweise in den Arm nehmen. Man sieht sie beim Aufwärmtraining in Positionen, in denen sie den Hintern herausstrecken. Den geouteten Rugby-Profi Gareth Thomas zeigt man gerne in der Pose des Model-Athleten – oder wie er, HEIKEL HEIKEL, mit einem kleinen Jungen an der Hand ins Stadion einläuft.

Vielleicht ist Langeweile überhaupt die Antwort auf die Frage, warum Homosexualität gerade so stark in den Schlagzeilen vertreten ist. Oder doch eher eine tiefe Verunsicherung des doch nicht so selbstverständlichen Eigenen, die das Auge aufgeregt zum Anderen schweifen lässt? Das Fremde, Andere ist stets Zumutung und Anregung zugleich. „Kommt, es tut auch gar nicht weh“, raunt man den vermuteten schwulen Fußballern zu. Aber vielleicht hat ja eher Rudi Assauer recht, der Schwulen rät, sich lieber eine andere Sportart auszusuchen. Außer Guido Westerwelle würde das vielleicht wirklich niemand überleben. Wie wäre es mit Eishockey? Da sind wenigstens keine Bälle im Spiel.

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