Kolumne 96

3.7.2013

Martin Reichert Erwachsen

Schluss mit Schluri

DER VATER MUSS BEIM ERWACHSENWERDEN HELFEN. ES GEHT UMS GELD

Wenn die Bank persönlich anruft, ist das kein gutes Zeichen – zumindest seitdem ich auf sogenannten eigenen Füßen stehe. Neulich also rief die Bank an: „Ihr Vater müsste bitte eine Kopie seines Personalausweises bei uns vorbeibringen.“ Oh, Gott – warum? Die Bank antwortete mit einer Gegenfrage: „Wussten Sie denn nicht, dass Ihr Vater eine Kontovollmacht hat? Die muss nun aufgrund des Geldwäschegesetzes erneut durch ein Personaldokument beglaubigt werden.“

Nein, wusste ich nicht. Ich wusste nicht, dass mein Vater noch immer eine Kontovollmacht hat, obwohl ich gerade vierzig geworden bin. Was ich natürlich weiß, ist, dass ich mein Konto noch immer in der alten Filiale in meiner Heimatstadt in der Eifel habe; also dort, wo mein Vater seine sichere Beamtenpension lagert – in der Hoffnung, wenigstens ein bisschen kreditwürdig zu erscheinen. Was allerdings naiv ist, Stichwort Basel II; Kreditvergaben werden in der Zentrale der Bank verhandelt. Der nette Filialleiter, den ich schon kannte, als ich ein kleines Kind war und er Azubi, hat damit nichts zu tun.

Aber was will man schon von jemandem erwarten, dessen Erspartes aus einem roten taz-Shop-Jutebeutel gefüllt mit übrig gebliebenen Münzen aus Hosen- und Jackentaschen besteht?

Genau mit dieser Schluri-Einstellung müsste jetzt wirklich mal Schluss sein, denke ich mir. Immer nur zwanzig Euro abheben, weil das Geld ja dann länger reicht. Kein Monatsticket kaufen, weil das ja echt super teuer ist und 2,40 Euro für eine einzelne Fahrt im Vergleich doch wirklich ein Schnäppchen!

Hatte nicht neulich noch ein Freund, ebenfalls gerade vierzig geworden, gesagt, dass er sich jetzt zum ersten Mal erwachsen gefühlt habe, weil er von seinen Eltern kein Geschenk zum Geburtstag bekommen habe? Nun erinnerte ich mich doch an die Kontovollmacht meines Vaters: Früher, während des Studium, war manchmal unerwartet wieder ein Plus vor dem Kontostand. Dann nämlich, wenn mein Vater einmal nach dem Rechten geschaut hatte.

Diese Zeiten müssen vorbei sein, Minus hin, Minus her, „ich möchte die Vollmacht bitte zurückziehen“, sagte ich der Dame von der Bank. Und wieder kommt die Gegenfrage: „Sind Sie wirklich sicher, dass Sie das tun möchten? Haben Sie sonstige Angehörige? Irgendjemand, der sich um ihre Verpflichtungen kümmert, wenn Ihnen etwas zustößt? Irgendjemand muss ja verantwortlich sein.“

Nachdem ich meinen Vater telefonisch darum gebeten hatte, mit seinem Ausweis in der Bank vorbeizuschauen, war mir klar, dass er sich schon am nächsten Tag schnurstracks auf den Weg machen würde. Das Auto aus der Garage fahren, Parkplatz suchen, bergab in das Stadtzentrum laufen; seine Knie machen Probleme, er geht auf die achtzig zu. „Ist was passiert?“, hatte er gefragt.

Nein, es ist gar nichts passiert. Es geht nur um das Geldwäschegesetz. Und um die Frage: Wäre es nicht eher an der Zeit, dass ich eine Vollmacht für das Konto meines Vaters bekomme – falls ihm was passiert? Einer muss ja dann die Verantwortung übernehmen.

 

Kolumne 95

17.6.2013

Martin Reichert Back on the Scene

Stille Tage im Marais

NACH DEN PROTESTEN GEGEN DIE „HOMO-EHE“ PRÄSENTIERT SICH PARIS SOMMERLICH-FRIEDLICH WIE EH UND JE

Ankunft in Paris, Flughafen Charles de Gaulle, 9.16 Uhr. Eigentlich müsste man diese Ortsmarke jetzt auf Facebook absetzen: „Bin in der westeuropäischen Hauptstadt der Homophobie. Falls mir was passiert, grüßt alle, die mich kennen. Im Todesfall schüttet das Presseversorgungswerk einmalig 5.000 Euro aus, das reicht für die Beerdigung. Urne bitte, danke.“

Vor Kurzem demonstrierten hier in Paris noch über hunderttausend Menschen gegen die „Homo-Ehe“, hielten theatralisch ihre Kinder in die Kameras. Ausschreitungen. Gewalt. Massives Polizeiaufgebot. Es gab verstärkt Übergriffe auf Schwule – es war so, als hätte jemand die Büchse der Pandora geöffnet, aus der Ferne betrachtet: ein Albtraum. Bilder, die man so in Deutschland lieber nicht sehen möchte; aber in Merkelland besteht keine Gefahr – hierzulande wird die Gleichstellung der Homosexuellen politisch als Sachzwang verkauft, das Bundesverfassungsgericht hat es so angeordnet, da kann man nichts machen. Und demonstrieren nützt schon gar nichts.

Die am Flughafen beschäftigten französischen Homosexuellen wirken jedoch auf den ersten Blick relativ unbeschädigt, der ein oder andere scheint höchstens ein wenig übernächtigt. Und auch in Centre-Ville geht alles seinen beruhigend normalen Gang. Hunderttausende sind auf den Beinen, um die Stadt mit ihren Sehenswürdigkeiten ins Koma zu fotografieren, Touristen aus aller Welt. Notre Dame hat Geburtstag und steht herausgeputzt an der Seine herum, im Inneren wird Pracht bestaunt, und nichts weist mehr darauf hin, dass sich hier kürzlich ein rechtsradikaler Intellektueller vor dem Altar erschossen hat – aus Protest gegen die „Homo-Ehe“ und überhaupt alles, was das französische Abendland gefährdet.

In der Metro rollt eine erschöpft wirkende Dame einen fahrbaren Verstärker in die Mitte, nestelt an einem alten Mini-Disc-Player herum, hält sich ein zerbeultes Mikrofon vor den Mund und singt „Besame Mucho“ von Dalida. Ein schwules Pärchen gibt ihr freundlich lächelnd etwas Geld. Ein Heteropärchen in der Reihe dahinter betätigt sich ausgiebig im Bereich „French Kissing“.

Auf den Straßen hört man überall „Get Lucky“ von Daft Punk, der Song dringt aus Cafés, aus fahrenden Autos; die Sonne scheint durch den Sprühregen, ein Regenbogen leuchtet auf. Im Marais gehen bärtige junge Männer Hand in Hand. Die Restaurants sind voll, Pastis steht auf den Tischen, es wird geraucht. Frauen mit großen Sonnenbrillen lachen. Eine amerikanische Touristin mit brandneuer Chanel-Handtasche erklärt ihrer Begleitung: „Marais is the home of the jews and the gays“, und beißt in ein Eclair.

Am Abend bin ich bei Beatrice und Sylvain eingeladen. Es gibt „Poulet rôti“, dazu Kartoffelpüree und Salat, ein kleines Weißbier. „Eigentlich ein Mädchenbier“, sagt Beatrice entschuldigend, „aber ich habe sonst nichts im Haus, auch keinen Wein.“ In der Mitte ihres Körpers wölbt sich eine riesige Kugel, sie ist im achten Monat schwanger. Sie sagt: „Diese verrückten Demonstranten. Was bilden die sich ein? Was beschweren sie sich, dass sie von der Polizei attackiert werden, wenn sie sich nicht an die vorgeschriebene Route halten? Und warum nehmen sie ihre Kinder mit?“

Zum Abschied nehmen mich Beatrice und Sylvain fest in den Arm.

Kolumne 94

22.4.2013

Martin Reichert Back on the Scene

Wir Kleinstadt-Cowboys

FAST HÄTTE ICH MICH VON DER AUTOBAHNBRÜCKE GESTÜRZT – DENN ALLES WAR ERLEUCHTET

Driving home for Christmas …; nein, stopp. Falsche Jahreszeit. Es geht eher um Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“, auch wenn das kein Lied ist. Denn: Heute fahre ich dorthin, wo ich mal zu Hause war. In eine kleine Eifelstadt, zu meinen Eltern.

Back on the Scene also, denn zu der Zeit, als ich Abiturient war, gab es dort, in der kleinen Kreisstadt mit 15.000 Einwohnern, ein richtiges NACHTLEBEN. Das war dann so Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger. Late Eighties Underground, Grunge. Traurige Gitarren-Lieder in Zigarettenqualm hören. So was wie „There she goesvon The Las.

Heute, in Berlin, lebe ich im Epizentrum eines gastro-kommerziellen Erlebnisbereiches namens „Kreuzkölln“. Das Leben gestaltet sich dort im Prinzip als Kneipe, im Winter ohne, im Sommer mit Außenbereich. Wenn man nur mal eben Brötchen kaufen will, fühlt sich das schon an wie „ausgehen“.

Das erste Mal ganz allein „ausgehen“, ohne Elternbegleitung; da war ich fünfzehn, und zu trinken gab es einen „Amaretto Apfelsaft“. Es war eine Kneipe, nein, eine BRASSERIE in der Innenstadt, gelegen an der Hauptverkehrsstraße. Dort flanierte man nicht, man fuhr mit dem Auto entlang, ZONE DREISSIG, runtergekurbelte Fenster, laute Musik – diese Leute waren frei, denn sie hatten ein Fahrzeug.

Meinen Führerschein holte ich am Morgen meines 18. Geburtstages ab. Nun konnten wir, die CLIQUE und ich, fahren, wohin wir wollten. In die sechzig Kilometer entfernte Alternativ-Disse, in der immer Dark-Wave gespielt wurde. Endlose Autobahnkilometer. Bergauf, bergab, und immer den Schutzengel dabei. Zu große Eltern-Autos mit zu vielen PS. Zu wenig Fahrpraxis. 180 fahren, 200 fahren. Fliegen.

Es gab auch eine DISCO in der Nachbarstadt, die hieß ausgerechnet U-Bahn. Man hatte dort, im Überlandbus-Kaff, U-Bahn-Abteile nachgebaut. Man hörte The Smiths und nicht Euro-Dance wie in den Großraumdiscos mit Getränkechips und halbem Eintritt für Frauen. Fast war man schon in London. Oder wenigstens Amsterdam. Den Differenzbetrag zwischen einer gewöhnlichen Jeans vom Herrenausstatter und der Levis 501 musste ich selbst bezahlen.

In der Kleinstadt selbst gab es ein Nachtcafé am Markplatz. Dort traf sich die Jeunesse dorée. Man trank einen Milchkaffee, womöglich einen Pastis und wähnte sich am Place de la Bastille. Ab zehn, elf Uhr zog man weiter in eine simple Bier-Eckkneipe, die als Schumann’s Bar herhalten musste, obwohl der Besitzer schlicht Karl-Heinz hieß und einen Schnurrbart trug. Oder hieß er Dieter?

Das Higlight des Abends kam aber erst noch: Der Absturz in einem JAZZ-Laden, in dem es nach Klostein roch und nach Dope, nach nassem Hund – es waren wohl eher ungewaschene Dreadlocks. Kumpelnest 3000, die Halbwelt und die Schwulen musste man sich eben dazudenken.

Aber das war doch egal. Man musste das NACHTLEBEN nehmen, das vorhanden war. Und so haben wir es gemacht: Alles war erleuchtet. Das Weinfest wurde Wiesn – ich glaube, ohne meine lebhafte Fantasie hätte ich mich von der nächsten Autobahnbrücke gestürzt.

Heute gibt es die meisten dieser Läden, in denen ich damals war, nicht mehr. Geschlossen oder verwaist. Dafür gibt es jetzt eine Shisha-Lounge. Da gehe ich auf jeden Fall hin – und stelle mir vor, ich wär in Neukölln.

Kolumne 93

25.3.2013

Martin Reichert Back on the Scene

Absolut München

WARUM MAN BAYERN TROTZ DIVERSER RESTRIKTIONSVERSCHRÄNKUNGEN MÖGEN KANN

Wenn man mit einem tiefergelegten schwarzen 3er BMW älteren Baujahrs und Berliner Kennzeichen ausgestattet die bayerische Staatsgrenze überquert, passiert genau das, was Sie sich denken können: „Bitte folgen“ blinkt es rot auf dem Dach des silbergrünen Polizei-BMW neuester Bauart. Und obwohl ich den Fahrzeughalter aus original Berliner Fertigung dringlich darauf hingewiesen hatte, lieber einfach mal die Klappe zu halten, damit wir die Sache möglichst ohne Urinprobe oder Nacktuntersuchung hinter uns bringen können, fragt er den schnauzbärtigen Herrn: „Warum halten Sie uns an?“. Sagt der schnauzbärtige Herr wiederum erwartungsgemäß: „Warum denn nicht?“

Ja, warum nicht einfach mal nach Bayern fahren. Nach München genauer gesagt. Drei-Sterne-Hotel im Westend, dem Neukölln Münchens, alles Nichtraucherzimmer. „DAS GEHT NUN ABER ÜBERHAUPT NICHT!“, hallt es aus dem Hinterhof, sobald der Fahrzeughalter sein Köpfchen mit einer glimmenden Zigarette aus dem Fenster hängt.

In einem sehr schönen Nichtraucherlokal aßen wir „Münchener Schnitzel“ und vergaßen ob der klischeegerecht urigen Atmosphäre, der freundlichen Eingeborenen und des herrlichen Augustiner-Biers wegen unsere Ressentiments gegenüber dem Polizeistaat Bayern. Erst als wir mit dem Taxi auf dem Weg in die Innenstadt exakt drei sogenannte Mausefallen passierten, also Polizeikontrollen, keimten unsere Zweifel wieder auf wie Krokusse im Frühling. Augustiner, Alpen und Leberkässemmel hin, Überwachungsmentalität her: „München ist die sicherste Stadt Deutschlands“, erklärt uns der Taxifahrer. „Aha, man kann hier also auch nachts um zwei noch mal in den Park gehen und so“, sage ich müde zu ihm. Antwortet er: „Ja, da sind dann jede Menge Zivilpolizisten“.

Noch immer darüber grübelnd, ob es sich bei den vielen Männern, die sich nachts in manchen Berliner Parks herumtreiben, womöglich um Zivilpolizisten handelt, erreichen wir unseren Zielort. Ein von einem Getränkehersteller gesponsertes Chi-Chi-Event (heißt das in München eigentlich Bussi-Bussi-Event?) mit Elektro-DJ und noch was mit Kunst und natürlich Freigetränken. Und, klar, einem Türsteher. Der vor uns herumkaspert, obwohl der Fahrzeughalter zwei EINLADUNGEN in seiner Hand hält. Nach langem Hin und Her sind wir endlich drinnen und stehen vor der einzigen Bar zwanzig Minuten Schlange zwischen dicklichen Modedesign-Studenten in viel zu engen Hosen. Dann endlich mal eine rauchen? „Nur draußen.“ Dann eben mit dem Drink vor die Tür. „Draußen sind keine Getränke erlaubt.“

Als ich mich völlig erschöpft an den PRESSE-Desk lehne, eines der Bollwerke des Türstehers, komme ich nicht umhin, sein Gespräch mit einer jungen Dame mitzuschneiden. „Du, am Freitag fahre ich nach Berlin“, erzählt er großtuerisch, „ins Berghain dann am am Wochenende“

Nicht in der Hölle soll er schmoren, aber bis zum jüngsten Tag soll er stehen in der Schlange vor dem Berghain, zwischen Millionen spanischer Touristen, die alle aufgeregt schnattern, weil sie zu viel Club Mate getrunken haben. Und wenn ihn der Türsteher dann am Ende nicht reinlässt und er verzweifelt fragt: „Warum lassen sie mich nicht rein?“, dann wird der Türsteher sagen: „Warum sollte ich?“

 

Kolumne 92

25.2.2013

Martin Reichert Back on the Scene

Wir haben den Papst gefickt

DIE HOMOSEXUELLEN REGIEREN DIE WELT. WANN DARF ICH ENDLICH MITMACHEN?

Die schwule Weltverschwörung soll ja an sehr vielem schuld sein – aktuell hat sie Benedikt XVI. auf dem Gewissen. Die italienische Zeitung La Repubblicaberichtete dieser Tage, das der Papst nicht mehr gegen das Vatikan-interne Gestrüpp aus mann-männlichen Sexorgien und macchiavellistischen Umtrieben angekommen sei. Nichts Näheres weiß man jedoch, der Vatikan dementiert solche Zusammenhänge selbstverständlich. Aber dass so etwas auf Dauer erschöpfend sein kann – Zustände wie im alten Rom –, ist vorstellbar. Der Papst sah zuletzt wirklich ziemlich mitgenommen aus.

Dementieren kann ich jedoch guten Gewissens, dass die Schwulen schuld daran sind, dass Ringen im Jahr 2020 keine olympische Disziplin mehr sein soll. Der russische Trainer Wladimir Uruimagow hatte dem IOC nach seiner kürzlich getroffenen Entscheidung unterstellt, Opfer einer Verschwörung von „sexual minorities“ geworden zu sein – und verkündete apokalyptisch, dass dies der Anfang einer schwulen Weltherrschaft sei.

Ob es dann um die Welt besser bestellt wäre, sei dahingestellt. Ich fürchte jedoch, das Uruimagows Theorie auf einer falschen Prämisse beruht: Gibt es irgendeinen vernünftigen Grund, warum schwule Männer sich dafür einsetzen sollten, in Zukunft auf den Anblick muskulöser Herren in knappen Trikots zu verzichten, die sich auf dem Boden wälzen? Nein, meine Herren, diese Verschwörung können Sie bitte einer anderen Minderheit in die Schuhe schieben. Wir fahren lieber einmal im Jahr zum Oil Wrestling im türkischen Edirne. Da kämpfen mit Olivenöl eingeriebene Herren in kurzen Lederhosen – wenn sie einander zu fassen bekommen wollen, müssen sie beherzt in den Schritt der Hose des Gegners fassen.

Natürlich kann man nie vorsichtig genug sein, was Verschwörungen angeht. Heute zum Beispiel flatterte bei mir eine Mieterhöhung ins Haus. Und wem gehört das Haus? Richtig, zwei Homosexuellen. Im Briefkasten lag auch ein Schreiben des Polizeipräsidenten von Berlin, Knöllchen wegen Falschparkens. Und wer regiert die Stadt? Ha!

Dann der deutsche Fußball, insbesondere auf Bundesliga-Level. Schwule, überall Schwule, die sich tückisch verbergen. Hört man. Sie sind überall. Auf Ölplattformen, hört man. Die deutsche Friseurinnung ist komplett unterwandert, womöglich sogar der ADAC. Die Parteien und Gewerkschaften, der Bund der Vertriebenen. Die Bundeswehr und die Polizei, alles fest im Würgegriff. Die Karnevals- und Schützenvereine sowieso. Und jetzt wollten sie auch noch Kinder adoptieren und Steuern sparen.

Verwirrt gehe ich in die Schwulenbar um die Ecke, um noch ein Bier zu trinken. An der Theke treffe ich einen flüchtigen Bekannten und mustere ihn misstrauisch. „Was hast du heute gemacht?“, frage ich vorsichtig. „Gearbeitet“, sagt er, „und danach die Wohnung aufgeräumt und noch Serien geguckt.“ Er tut harmlos. Aber als ich mir all die anderen Männer hier in der Bar anschaue mit ihren müden Gesichtern, den dunklen Schatten unter den Augen und den stieren Blicken, dann wird mir einiges klar: Sie sind es, die den ganzen Tag an den ganz großen Rädern der Weltgeschichte drehen. Das schlaucht natürlich.

Ärgerlich ist nur, dass mich nie mal jemand gefragt hat, ob ich nicht mitmachen möchte. Schwule sind einfach nicht solidarisch.

 

Kolumne 91

28.1.2013

Martin Reichert Back on the Scene

Sugar Free Fudschi

DER HOMOSEXUALISMUS FEIERT FRÖHLICHE URSTÄNDE. NTS-NTS-NTS. STAMPF-STAMPF-STAMPF

Aus russischer Sicht war mein Freitagabend homosexualistischen Umtrieben gewidmet – ein neuer Ismus, den man sich wirklich für den aktiven Wortschatz vormerken muss: Homosexualismus, die „Propaganda“ für einen solchen ist in Russland jetzt strafbar. Hierzulande will man öffentliches Reden über Homosexualität schon gar nicht mehr hören, und während in Polen gerade die Eingetragene Lebenspartnerschaft vom Parlament abgelehnt wurde, lasse ich mich schon wieder scheiden.

In der Tat ging es bei mir am Freitagabend fast schon kriminell orthodox zu. Nach einem Gin Tonic in einer Sichtbeton-LGBTI-Bar in Berlin-Kreuzberg besuchte ich mit einem Freund eine Homosexuellen-Orgie, bei der man weite Teile seiner Kleidung in Müllsäcke verpackt an der Garderobe abgibt und mit Filzschreiber eine Konsumentennummer auf den rechten Oberarm geschrieben bekommt. Dort sprachen wir am Tresen, Wodka-Energy-Drinks zu uns nehmend und halbnackt, ausschließlich über Unwesentliches. Allzu viel Zeit hatten wir ja auch nicht, denn für die Orgie in einer Sonderabteilung des derzeitigen Petersdoms der internationalen Jugendkultur waren maximal eineinhalb Stunden eingeplant, weil man sonst bei der darauf folgenden Elektro-Tanzveranstaltung für Homosexuelle stundenlang in einer Warteschlange in der Kälte hätte stehen müssen.

Nachdem wir die Orgie sozusagen en passant mitgenommen hatten – immer wieder schön, wenn man plötzlich Bekannte, Kollegen und Personen des öffentlichen Lebens in Camouflage-Unterhose antrifft, „Hey, hallo, du auch hier. Orgie und so?“ – „Ja, wollte nur mal gucken“. Informelles Zwangsouting kann auch ganz lustig sein – so zwischen rasselnden Slings und stampfenden Beats. Aber richtig pervers ist hier nur das eine: Es gibt tatsächlich einen Außenbereich, und das bei minus 5 Grad. Die spinnen doch total, die Homosexualisten.

An der Garderobe merkt man dann erst mal, was man im Winter so alles auf dem Leib mit sich herumschleppt. Mantel, Mütze, kiloweise Wolle, alles in einer Tüte, die fast platzt vor Beschwernis. Natürlich sind wir dann bei der Elektro-Tanzveranstaltung die Ersten, weil halb eins nun wirklich viel, viel, viel zu früh ist.

Mein bester Freund weiß nun nicht, was er trinken soll. Er wohnt in Berlin-Mitte und hat daher nicht nur eine Gluten-, sondern auch eine Fructose-Intoleranz. Doch weil ich in Berlin-Neukölln wohne, habe ich die rettende Idee: Sugar Free Fudschi, die Hipster-Variante des Neuköllner Nationalgetränks Whiskey-Cola. Der Barkeeper bricht fast zusammen vor Lachen.

Nach etwa einer Stunde kommen die Leute von der Orgie zur Elektro-Tanzveranstaltung, angezogen und alle auf einmal. Nun muss man tanzen, abweisend gucken und sich über Unwesentliches unterhalten. Alle müssen mitmachen.

Chrchch. Gähn. Der Homosexualismus feiert fröhliche Urstände. Nts-nts-nts. Stampf, stampf, stampf.

Das finden Sie jetzt alles langweilig? Total irrelevant und belanglos? Papier- und Platzverschwendung? Da können Sie mal sehen, wie verschieden die Uhren auf der Welt ticken. Wären wir jetzt in Russland, dann wären Sie jetzt gerade Zeuge einer Straftat geworden. Schriftliche Propaganda für Homosexualismus. Schlimm.

 

Kolumne 90

31.12.2012

Martin Reichert Back on the Scene

Ökologisches Gleichgewicht zwischen Homos und Heteros

Wenn Kardinal Ratzinger einem Tief in die Augen schaut

Mann kann als Homosexueller vieles falsch machen. Geht man zum Beispiel auf einen schwulen Weihnachtsmarkt, um dort mit Gleichgesinnten Glühwein zu trinken und herumzualbern, stört man die ansonsten auf Weihnachtsmärkten übliche christliche Andacht. Jede Bratwurst eine Oblate, jeder gehäkelte Eierwärmer aus dem Erzgebirge eine Reliquie der Heiligen. Und die bunten Karussells, nichts weiter als ein Maschine gewordenes Mantra, ein elektrisch betriebenes Amen.

„Was soll mein sechsjähriger Sohn denken, wenn er plötzlich einen Weihnachtsmann mit Waschbrettbauch und Stringtanga sieht?! Er weiß doch dann gar nicht mehr, wo er dran ist!“ Diese Frage stellte mir neulich ernsthaft und wahrhaftig eine katholisch gesonnene besorgte Mutter. Ich weiß es auch nicht genau, vermute aber, das ein Sechsjähriger nichts damit anfangen könnte, wenn man ihm erklärte, das der Weihnachtsmann in dieser Form eine Erfindung von Coca-Cola ist und das Ganze womöglich ein Agitprop-Gesamtkunstwerk, das darauf hinweisen möchte, das der Kapitalismus nackt ist.

Ist man als Homosexueller, einfach, wer man ist, und verhält sich still und friedlich – ganz ohne auf dem Weihnachtsmarkt herumzugrölen –, dann ist es auch wieder nicht richtig. So verkündete der Papst anlässlich des Festes der Liebe, dass die Menschheit gefälligst auf „die Stimme der Schöpfung“ hören solle, um die vorgegebenen Rollen von Mann und Frau zu verstehen. Alles andere käme „einer Selbstzerstörung des Menschen und der Zerstörung von Gottes Werk selbst“ gleich.

Als Homo ist man nach dieser Lesart eine Art humanoides Treibhausgas, das der Menschheit die Lampe ausknipst. Eine „Ökologie für den Menschen“ sei gefragt, so hatte es der Papst vor der versammelten Kurie verkündet. Schwule und Lesben in die Biotonne, Deckel zu – und Ruhe ist.

Weihnachten haben wir trotzdem gefeiert, zu zwölft. Mit halb schwuler, halb heterosexueller Besetzung, damit das ökologische Gleichgewicht nicht umkippt. Der Weihnachtsbaum war allerdings, zugegeben, aus Plastik und aufblasbar. Die schönste Anekdote an diesem Abend stammte von einem ehemaligen Schüler des berühmt-berüchtigten Klosters Ettal, der sich nachts mit seinem Jugendschwarm in der Wäschekammer traf und tagsüber stets auf der Hut vor den Nachstellungen seiner priesterlichen Lehrer sein musste. Gefirmt wurde er, der damals noch sehr religiös war und davon träumte, Priester zu werden, von Joseph Kardinal Ratzinger persönlich. Der Kardinal strich jedem Schüler einzeln über den Kopf und sparte nicht mit Aufmunterungen und Lob – nur bei unserem Weihnachtsgast hielt er kurz inne und schaute ihm tief in die Augen: „Das wird nichts, das wird nichts“, sagte er.

Haben wir gelacht an diesem Abend. An Weihnachten will man lieber nicht daran denken, wie mörderisch dieser Hass sein kann, der von den meisten Weltreligionen gegen Schwule und Lesben gepredigt wird. Da ist es besser, man feiert einfach den Red Nose Day und lässt dabei die Fenster geschlossen.

 

Kolumne 89

26.11.2012

Martin Reichert Back on the Scene

Auf der Gästeliste nachts um halb eins

Am besten sind die Feiern, auf die man gar nicht eingeladen ist

Wie soll man eigentlich reagieren, wenn man auf seiner eigenen Geburtstagsfeier auf Menschen trifft, die man gar nicht kennt? Also solche Leute, die etwas verdruckst herumstehen, klammheimlich und mit schlechtem Gewissen das Buffet abessen und an der Bar ausschließlich subventionierte Drinks bestellen (Wein, Bier, Softdrinks). Am besten umarmt man sie einfach und sagt: „Schön, dass du da bist!“

So fühlte ich mich dann doch noch wohl bei dieser Feier eines jungen, freundlichen Mannes, der gerade seinen 30. Geburtstag beging und den ich im Weiteren nur indirekt kennenlernen durfte, nämlich bei Hintergrundgesprächen in der Raucher-Lounge. Mit seiner Mutter.

Anders verhält es sich, wenn man über einen „Plus Eins“-Vermerk zu einem Chi-Chi-Event geschmuggelt wird, so wie neulich zu einer Edel-Boutique-Eröffnung in Berlin-Mitte. Bei solchen Veranstaltungen muss man sich nicht am Buffet herumdrücken, weil alle zwei Minuten junge Servicekräfte, die eigentlich BWL oder Europäische Ethnologie studieren, mit bizarren Häppchen vorbeikommen. Kartoffelsalätchen mit Trüffel, Lachsschaum-Pralinés, Apfelschwein-Bäckchen auf Sellerie-Mousse. Zu trinken gibt es Drinks von Dr. Seltsam, zum Beispiel Holunder-Wodka-Cocktails, dafür aber reichlich. Weil die Häppchen winzig sind und es sich nicht geziemt, drei auf einmal vom Tablett zu nehmen, hat man recht schnell die Lampen an – und nie würde die Event organisierende Gräfin Hardenberg von „Hardenberg Concept“ jetzt einfach auf einen zukommen, einen in den Arm nehmen und sagen: „Ich begrüße Sie ganz herzlich, auch wenn Sie nun ganz bestimmt nicht auf der Gästeliste stehen. Sie würden doch auch sicher nicht davon ausgehen, dass Ihre Zeitung zu den bevorzugten Medienpartnern des Gastgebers gehört? Und ist Ihnen schon aufgefallen, dass in Ihrem Hemd ein Loch ist?“

Die Gräfin wäre sicherlich zu gut erzogen, so etwas auch nur zu denken – vielmehr entstehen solche Dialoge ja nur im eigenen Kopf. Das schlechte Gewissen meldet sich, und ich bilde mir ein, das die Security mich auf Schritt und Tritt überwacht, damit ich ja nicht einen goldenen Manschettenknopf oder ein T-Shirt im Gegenwert eines Monatsgehaltes unter mein Hemd stopfe, das wirklich nur ein ganz winziges Loch hat. Tröstlich ist nur, dass hier auch noch ganz viele andere Leute rumstehen, als wären sie bestellt und nicht abgeholt. Verloren zwischen Models, Soap-Stars, hoffnungsvollen Nachwuchstalenten und der großen, anonymen Masse der tatsächlichen Zielgruppe: Menschen in mittleren Jahren mit dickem Bankkonto.

Die Geburtstagsparty mit dem Buffet nahm dann allerdings noch eine wunderbare Wendung. Nach zehn Jahren treuer Kundschaft lernte ich dort meinen polnischen Autoschrauber kennen. „Lange nicht mehr gesehen“, sagte er, und ich sagte: „Ich habe kein Auto mehr.“ Aber was um Gottes willen hatte er auf der Geburtstagsfeier eines jungen, schwulen Künstlers zu suchen? Bei einer Menthol-Slimline Zigarette kamen wir ins Plaudern: Seine Frau ist Chansonsängerin und tritt regelmäßig zusammen mit dem Gastgeber auf. Der Abend endete mit einer Einladung nach Polen. Und mit einer Gegenumarmung in Richtung Gastgeber: „Danke, dass ich hier sein durfte.“ Vielleicht lerne ich ihn demnächst ja mal bei einer Party kennen.

Kolumne 88

29.10.2012

Martin Reichert Back on the Scene

Besser als Bubble Tea

Das Leben kann so schön sein. Man muss sich nur mit lustigen Blasen umgeben

Wenn man fast vierzig ist, kauft man keinen Bubble-Tea mehr, will aber trotzdem manchmal Spaß haben. Wenn überhaupt, eröffnet man als prekärer Mensch völlig verzweifelt gleich eine ganz Bubble-Tea-Filiale. Falls man gerade noch in der Lage ist, seine Gegenwart anders zu finanzieren – von Vorsorge kann natürlich sowieso keine Rede sein –, sucht man sich Blasen und Geblubber anderswo.

Mein bester Freund zum Beispiel verfügt dank einer veritablen Lactose-, Fructose- und Glutenintoleranz – was man heute halt so hat – über einen partiell aufgeblähten Bauch. Auf diesem mit meinem Kopf zu ruhen hatte ich neulich im wahrsten Sinne des Wortes die Freude. Wir lagerten aufgrund guter Beziehungen an einem Swimming-Pool hoch über den Dächern von Berlin.

Es begab sich an diesem letzten, legendären Spätsommer-/Herbstwochenende. Er okkupierte eine der wenigen freien Liegen, und weil ich auch den Sonnuntergang sehen wollte, legte ich mich dazu und nutzte seinen Bauch als Kissen. Was einen ungeahnten Effekt hatte: Jedes Mal, wenn er lachen musste, musste ich, bedingt durch die Erschütterungen, mitlachen. Und umgekehrt. Mein Freund war also ein Lachsack, und wir beide bildeten ein Perpetuum mobile der Heiterkeit.

Wir schauten lustige Videos auf dem iPhone an – Ades Zabel als Vicki Leandros zum Beispiel. Machten Fotos von unseren Aperol-Spritz-Gläsern, die in der Abendsonne unwirklich leuchteten, besonders weil sie am Poolrand standen. Am Rand eines Pools, in dem zwei niedliche Südfranzosen plantschten.

Wir dachten im Traum nicht mehr daran, an unsere gescheiterten Beziehungen zu denken. Nie wieder würden wir über Steuerklärungen, das Älterwerden, die Rente und all diese Sachen nachdenken. Nie wieder, wenigstens für diese einen halbe Stunde, in der die Sonne Berlin ausleuchtete, als wäre es Tel Aviv, und gleich rechts um die Ecke, da wäre dann der Strand.

Unter mir gluckste der Bauch meines Freundes, in den Aperol-Spritz-Gläsern perlte es und außen bildeten sich Wasserperlen, so wie man sie auch auf der schön gebräunten Haut des Südfranzosen sehen konnte, der nun am leicht brodelnden Pool-Rand ruhte.

Das Leben war schön, in dieser einen halben Stunde. Nur schön? Immer strebt man nach dem Glück, und nur manchmal, ganz selten, bekommt man es zu fassen.

Links neben uns konnte man schon den Mond sehen. Schon bald wurde es dunkel. Und kühl. Wir verließen die Dachterrasse, beide hatten wir noch Verabredungen für den Abend. Wir trennten uns mit einer Umarmung.

Heute, eine Woche später, sitze ich alleine in meiner Wohnung, und draußen ist es kalt. Der Winter kommt, und der macht mir gerade ein bisschen Angst. Wenn da nicht dieses Blubbern wäre. Dieses vertraute Blubbern in den Heizkörpern. Ein Fachmann würde sagen: Die müssen entlüftet werden. Aber ich sage: Schon die Heizkörper meiner Kindheit waren schlecht entlüftet, und so soll es bleiben.

Ich finde diesen Blubber-Sound heimelig, es ist mein Knistern im Kamin, es ist mein Meeresrauschen vor dem Schlafzimmerfenster. So lange es dort ordentlich blubbert, kann mir der Winter mit seinen langen, dunklen Stunden nichts anhaben. Ich muss mir nur noch Kerzen besorgen. Und einen niedlichen Südfranzosen im Wollpulli.

Kolumne 87

1.10.2012

Martin Reichert Back on the Scene

Die Froschfalle

Sitzen drei Männer in einem Kellerloch an der Ostsee und reden

Wenn man in Berlin wohnt und mit den Nerven runter ist, dann fährt man an die Ostsee.

Der Meerblick in unserer Ferienwohnung auf der Insel Poel ist zwar vorhanden, entpuppt sich aber bei genauem Hinsehen als Blick aus einer Kellerwohnung. Um das Meer zu sehen, muss man in das Wohnzimmer gehen, das in feinstem Gelsenkirchener Barock eingerichtet ist. Die Wohnung ist mit braunem Teppich ausgekleidet, es riecht nach Heizöl und Raumerfrischer – immerhin der Duftrichtung „Meeresbrise“. Wir sind zu dritt und hier erst recht der Verzweiflung nahe – wie soll man den Nerven in einer solchen Atmosphäre Gutes tun?

Der eine von uns hat starken Liebeskummer, er ist ganz dünn geworden und blickt mit traurigen schwarzen Augen in die Welt. Der andere von uns muss seine Dissertation fertigstellen und hat darüber schon jetzt ganz viele Falten zwischen den Augenbrauen bekommen. Ich selbst bin seit Wochen damit beschäftigt, einen veritablen Burn-out vorzubereiten.

Wie soll man hier seinen Nerven Gutes tun? Mit etwas, das zur Einrichtung passt. Wir beschließen, Gulasch zu kochen nach Großmutters Rezept. Nach dem Einkauf quetschen wir uns alle drei in die ungefähr vier Quadratmeter große Küche. Es gibt kaum Luft zum Atmen, weil alle rauchen und es im Schmortopf ordentlich zischt, schmurgelt und dünstet. Wir trinken Rotwein und reden.

Der eine von uns, der mit dem Liebeskummer, hat einen „Migrationshintergrund“, und weil er schwarze Locken hat und dunkle Haut und einen fremd klingenden Namen, ist dieser Hintergrund ständig im Vordergrund. Der andere von uns ist groß und blond und stottert. Wenn er mit dem „s“ ringt, dann kann das jeder hören und es macht die Sache nicht leichter für ihn. Ich selbst denke darüber nach, dass ich früher, als Jugendlicher, nie auf die Idee gekommen wäre, mit zwei Heterofreunden einen Kurzurlaub zu machen – ich hatte keine Heterofreunde, weil ich dachte, dass mich solche Menschen ablehnen würden.

Gulasch kochen, Gulasch essen, das ist ein Zuhausesein. Der Rotwein löst die Zungen und auch das mit dem „s“ klappt nun besser.

Wir reden darüber, wie schwer es für den einen mit dem Liebeskummer war, als er nach Deutschland kam. Mit nur 800 Dollar in der Tasche. Der andere erzählt, welche Katastrophe es war, als ihm seine Eltern als junger Mensch die Stottertherapie nicht zahlen konnten. Sie hatten die 1.500 Euro nicht. Und ich traue mich zu erzählen, wie es wirklich ist mit dem Schwulsein – und wie schwer das für mich war, früher mal.

Wir sitzen in einem winzigen Kellerloch auf einer Insel, fernab der Welt. Das Loch ist wie ein Bunker, in dem wir, die Abgesonderten, uns sicher fühlen können. Das Loch ist eine kleine Zelle, in der unser „Anderssein“ nicht mehr schlimm ist, wir können uns sogar ein wenig darin baden.

Am nächsten Morgen blicken wir beim Rauchen auf die Kiesdrainage vor dem kleinen Küchenfenster. Dort liegen unzählige kleine Froschleichen. Die Frösche waren in das Loch gehüpft und sind darin umgekommen. Sie kamen nicht mehr raus und vertrockneten.

Wir packten unsere Sachen und fuhren nach Hause, zurück nach Berlin. Erleichtert, denn dort würden wir wieder mitten im Leben sein.